UTMB – das Trailrunning-Festival der Superlative.
Und ich mittendrin.
Was alles hinter mir liegt:
Wunderbare Begegnungen und traumhafte Landschaften, Aufregung, Euphorie, aber auch nachdenkliche und traurige Momente sowie pure Anstrengung und wieder einmal die Erfahrung, dass Grenzen verschiebbar sind, dass du immer noch etwas weiter kannst, als du denkst.
Schon Tage vorher eine unglaubliche Stimmung und Atmosphäre in Chamonix. Die Stadt und alle umliegenden Gemeinden bestehen nur aus Läufern, noch nie bin ich morgens vor 6 so vielen anderen Sportlern begegnet wie an diesen Tagen.
Die Nacht ist kurz.. zu viel geht mir durch den Kopf.
Kurz vor halb 4 gebe ich auf.
Ein entspanntes Frühstück, letzter Check der Ausrüstung, Akkus nochmal ans Netz.. dann gehe ich zur Bushaltestelle.
5:04 Uhr ist Abfahrt. 5:14 Uhr erscheint endlich der Bus.
Auch hier wieder top organisiert. Ordner sind entweder in den Bussen oder fahren vorn weg, so entsteht keinerlei Gedränge oder ungeordnetes Einsteigen.
Dann heißt es erst noch einmal ausruhen und versuchen, etwas runterzukommen.
Ein kläglicher Versuch.
Am Parkplatz dann wiedermal anstehen in der gefühlt 1 km langen Schlange vor den Toiletten.
Die Zeit ist jedoch kurzweilig.. Eine Asiatin, die nicht mehr aus der Kabine kommt, sorgt für Unterhaltung. Am Ende befreit sie nach 10 Minuten ein Brecheisen aus ihrer misslichen Lage. Den Applaus des gesamten Parkplatz hat sich damit mehr als verdient.
So lustig fand sie es selbst allerdings nicht.
1 km Fußmarsch, dann ist man am Start.
Jacke aus, ab in den Kleiderbeutel, einem Ordner in die Hand drücken, kurzer Rucksackcheck, dann geht's auch schon zur Startlinie.
Von Minute zu Minute steigt auch meine Anspannung..
Man kennt es natürlich von anderen Läufen, hier und heute ist es aber nochmal eine andere Dimension
Da ich mir nicht sicher bin, ob ich mich richtig eingereiht hab, frage ich einen Ordner.
Großer Fehler. Zumindest sollte man niemand von der Orga ansprechen, wenn man es bei der Pflichtausrüstung nicht ganz so ernst genommen hat.
Am Ende glaubt er mir aber zum Glück, dass ich wirklich zwei Liter Wasser dabei hab und die anderen beiden Flaschen hinten im Rucksack sind .
Die letzen Minuten vorm Startschuss dann Gänsehautfeeling pur..
Jetzt gibt's kein zurück mehr .
Pünktlich 8:15 Uhr fällt dann endlich der Startschuss.
Zu Beginn 2 relativ flache Kilometer durchs Dorf, begleitet von einer gigantischen Stimmung und grandiosen Zuschauern, dann beginnt auch schon der erste Anstieg.
Da sich jeder mit der Welle mitreißen lässt, sind alle viel zu schnell, auch ich..
Der Berg ist aber zum Glück zum Warm werden und bis Champez hat man die ersten 500 Höhenmeter schon auf der Uhr.
Das Panorama um den See ein Traum...
Danach 3 Kilometer gemächlich auf einem schönen Forstweg bergab.. genau meins..
Dann kommt der erste lange Anstieg auf über 2200 m.
Kurz vor Trient eine Verpflegung.. man muss in einen alten Kuhstall.. Dort gibt's alles was man braucht..auch hier merkt man wieder, es sind Profis und ein eingespieltes Team am Werk.
Kurz vor halb 11 bekomme ich den ersten Zwischenstand. AK Top Ten, dritte deutsche Frau.. Damit ist der Ehrgeiz leider geweckt. Nichts mit Aussicht genießen. Die Blicke, die sich mir dennoch immer wieder bieten , gigantisch..
Was für ein beeindruckendes Bergmassiv in dieser Gegend.
Bergauf gehts erstaunlich gut, ich kann einige Frauen aber vor allem auch Männer überholen. Dafür, dass ich vorher keinerlei Bergläufe trainiert hab, geht's fast schon zu leicht..
Aber es kommen ja auch noch über 30 km und 2000 HM.
Die Pfade bis zum Gipfel sind teilweise nicht ohne. Steine, Wurzeln , eng..
Einige Passagen mit Seilsicherung und Überholverbot.
Absolute Konzentration ist gefragt, ein Tritt daneben und man stürzt mehrere hundert Meter in die Tiefe.
Ein Asiate vor mir macht einen Schritt zu weit rechts, kann sich aber gerade noch abfangen. Ein Schrecksekunde für uns alle.
Am Gipfel eine Alm, Verpflegung, nächste Zwischenzeit.
Hier wird man übrigens gescannt.. Matten gibt's keine.
Mittlerweile herrschen fast unerträgliche Temperaturen, der Anstieg bis hier her in der prallen Sonne, kein Wind..
Zum Glück gibt's immer wieder eiskalte Bäche oder Brunnen, in die man sämtliche Körperteile und die Mütze tauchen kann.
Die nächsten 2 Kilometer gehen noch relativ eben bzw leicht fallend dahin, dann folgt das, was ich als Flachlandläufer nun leider gar nicht kann.. über 1000 HM bergab.
Auch hier wieder steinig, steil, Wurzeln..
Und hier verliere ich dann leider auch wieder einige meiner erkämpften Plätze, obendrein beginnen die Schmerzen in den Oberschenkeln..
Nach viel Zähne zusammenbeißen erreiche ich Le Tours. Selbst flach laufen schmerzt ,die Beine gefühlt bleischwer...
Das erste Mal, dass mir der Gedanke in den Kopf rutscht, es nicht zu schaffen.
Nach zwei Anstiegen auf um die 2200 m und mittlerweile schon 2600 Höhenmeter auf der Uhr, wird es langsam zäh..
Bis Argentiere geht es weiter bergab..unter Schmerzen.
Am liebsten würde ich runter wandern ... Der Ehrgeiz lässt es jedoch nicht zu.
Im Ort nochmal eine Verpflegung, dann folgt der letzte Anstieg bis zum La Flegere.
Dort oben war ich vorgestern schon, allerdings mit der Bahn..
Davon träume ich ein wenig..
Bergauf geht auch hier wieder und immer noch erstaunlich gut. 3 Frauen sammel ich wieder ein, auch noch ein paar Männer. Es strengt zwar an und geht enorm an die Kräfte, aber es ist viel erträglicher als bergab.
Und ich weiß, jeden Höhenmeter nach oben, muss ich auch wieder runter.
Am Ende sind es insgesamt nochmal 700 Höhenmeter abwärts .
Am Gipfel gibt's dann zum Glück eine traumhafte Dusche aus dem Wasserschlauch.
Kurzer Stopp, ein Becher Cola, dann stelle ich mich meinem Verderben.
Aktuell bin ich auf 1900. Chamonix liegt auf knapp 1100..
Augen zu und durch.
Zum Glück bleiben die gefürchteten Krämpfe aus, zumindest in den Oberschenkeln. Dafür immer mal wieder in den Fingern, aber das hab ich gut in Griff.
400 m geschotterter Fahrweg - Horror, dann biegt die Strecke auf einen Pfad ab, der uns nun kontinuierlich ins Tal bringt.
Wieder nur Wurzeln und Steine.. nur nichts riskieren, ein Sturz oder Umknicken auf den letzten 6 Kilometern würde jeden erkämpften Kilo- und Höhenmeter zunichte machen.
3-4 x bleibe ich irgendwo hängen, kann mich aber gut abfangen.
Füße heben fällt nun leider immer schwerer.
Die zwei Frauen überholen mich wieder, aber damit hab ich gerechnet.
Mittlerweile ist mir auch egal , wer wie viel Minuten oder Sekunden vor oder hinter mir ist, ich will einfach nur ins Ziel.
Irgendwie komme ich nach 4 Kilometern tatsächlich unten an, noch 1,5 km flach, dann hab ich es tatsächlich geschafft.
Schon bei dem Gedanken allein wühlt es die Emotionen auf.
Was ich dann sehe, setzt der vorzeitigen Euphorie schlagartig ein Ende..
Die Uhr zeigt noch 1 Kilometer, vor mir eine Überführung über die Straße wie man es über Bahngleise kennt..
Treppe hoch, eine Ebene über die Straße, drüben Treppen wieder runter..
Echt jetzt???
Der Wegweiser führt tatsächlich dort drüber.
Spätestens hier will man aufgeben.
Mache ich natürlich nicht, stattdessen quäle ich mich drüber..
Was anderes ist es nicht mehr.
Der restliche Kilometer durch die Stadt schließlich zum Glück flach.
Hier geht das Laufen auch wieder erstaunlich gut.
Den Weg kenne ich, noch ein paar Kurven in der Fußgängerzone, einmal um ein Restaurant und dann biegt man um das erlösende Eck...
Irgendwo wird Anna stehen um mit mir in Ziel zu laufen.
In dem Moment höre ich schon ein lautes "Mama!!" und sehe ein auf mich zulaufendes Kind, das meins sein könnte.
Wir nehmen uns an die Hand und nach 7h 59 Minuten und 16 Sekunden laufen wir gemeinsam als 52 ste Frau, und damit schnellste deutsche Starterin, über den blauen Teppich und über die Ziellinie, von der tausende (richtige ) Trailläufer träumen....
Und dann dürfen sie mich überkommen.. die Emotionen die sich so lang aufgestaut haben...
Was für ein grandioses Erlebnis, an diesem Rennen teilnehmen zu dürfen.
Auch wenn es nur der "kurze" Lauf war , die Stimmung an der Strecke, die Atmosphäre an all den Tagen in Chamonix und der bewegende Zieleinlauf durch den UTMB Zielbogen , machen diesen Tag zu einem Erlebnis, das ich so schnell nicht vergessen werde...
Dass ich am Ende mit so einer guten Platzierung aus dem Rennen gehe, lässt, zumindest kurzzeitig, alle Schmerzen und Strapazen der letzten Stunden vergessen.
Fazit.
Wie oft hab ich mir im vergangenen dreiviertel Jahr sagen lassen müssen, laufe in Chamonix, andere träumen jahrelang davon, es ist ein Erlebnis, das du nie vergessen wirst.
Und jedes einzelne Wort hat gestimmt..
Dieses Event ist von vorn bis hinten perfekt organisiert, die Verpflegung unterwegs perfekt, die Streckenmarkierung in dem teils schwierigen alpinen Gelände eine Meisterleistung. Nicht ein einziges Mal hab ich überlegen oder suchen müssen, wie die Strecke verläuft.
Hut ab vor dieser grandiosen Leistung des Veranstalters, des unermüdlichen Einsatzes der hunderten von Helfern, den stets freundlichen Ordnern, die mit Sicherheit viel Anspannung der Läufer in den letzten Tagen abbekommen haben ( ich nehme mich da nicht aus 🙈) und nicht zuletzt die gigantische Stimmung der Zuschauer auf der Strecke und vor allem auch in den kleinen Bergdörfern...
Auch wenn ich aktuell nicht mal ansatzweise ans Laufen denken kann und möchte.. es wird eine Wiederholung geben.