" Der erste Schritt in Richtung Veränderung ist Erkenntnis. Der zweite Schritt ist Akzeptanz."



Tag 21: Filipstad - Karlstad


85,72 km

1727,66 km Gesamt


Am Abend gesellen sich noch zwei andere Bikepacker auf den Campingplatz. 

Welch seltene Situation.


Der Wetterbericht für heute sagt schon lang Regen voraus. Gestern Abend noch die obligatorischen 1-2h ab 9 Uhr, die immer schon 3 h vorher anfangen und 4 h länger dauern. 


Gegen halb 5 werde ich wach und der erste Blick gilt dem Regenradar. 


Und ich behalte Recht - Regen ab 5.


Die Wolken kommen von Westen. 

In Karlstad, meinem heutigen Ziel, soll es schon ab 8 Uhr wieder trocken sein. Hier erst ab 11.


Also einmal Zähne zusammenbeißen und mitten durch, durchs Regenband.


Meine Laufrunde ist schnell gecancelt, lieber starte ich gleich und werde nur auf dem Rad und nicht auch beim Laufen schon nass.


In weiser Vorahnung hab ich gestern Abend schon das gesamte Regenequipment zurecht gelegt. 

Gar nicht so einfach, in einer Hütte ohne Licht.


In kompletter Regenmontur starte ich. 

Ausgerechnet heute ist es ungewöhnlich warm, bereits jetzt zeigt das Thermometer 15 Grad. 

Zu warm für die Regenjacke unter dem Poncho. 




Bis Molkom führt mich der Weg heute wieder über eine blöde Hauptstraße. Der Verkehr ist zwar noch relativ gering, doch auch die wenigen Autos und LKWs verpassen mir jedes Mal eine nervige Dusche. 


Immerhin kommen in regelmäßigen Abständen Bushaltestellen. 

Unterstellen will und werde ich mich zwar nicht, regenfest bin ich einigermaßen, aber falls mich der Hunger überkommt, sitze ich zumindest trocken.



Einige Kilometer weiter mache ich dann wiedermal eine geniale Entdeckung, die ich so in Deutschland noch nirgrnds gesehen hab. 


Über einem Wartehäuschen leuchtet ein grelles Licht, das fast schon blendet.

Erst kann ich es nicht zuordnen, doch eine wartende Frau löst das Rätsel schließlich.


Damit der Busfahrer nicht jede Haltestelle anfahren muss, drückt man den Schalter für das Signal und so weiß der Fahrer, dort steht jemand, den muss er einladen. 


So simpel, so genial. 


In Molkom kann ich kurz durchatmen. 

Eine geöffnete Tankstelle, meist gibt's hier ja nur Automaten, davor eine Sitzgruppe im Trockenen.


Meine Rettung.


Ich besorge mir einen Cappuccino und nutze die trockene Ecke gleich zum Frühstücken.


Kurz nachdem ich sitze, gesellt sich ein Motorradfahrer auf die Bank neben mir.


Es regnet, ich bin nass, genervt und hab Hunger.. Sprech mich jetzt einfach nicht an.


Natürlich tut er es doch!


Wo ich herkomme, möchte er wissen. 

Ich antworte freundlich aber kurz. 

Nach Smalltalk ist mir heute nicht. 


Seine Motorradfreunde kommen dazu, und lösen mich als Gesprächspartner ab. 

Kurz überlege ich, in die Bushaltestelle auf der anderen Seite der Tankstelle zu wechseln, aber dann brechen sie schon auf.


Gott sei Dank. 



Es regnet noch ungefähr 20 Minuten vor sich hin, dann hört es auf.


Alles in Allem bin ich damit auch heute wieder mit einem blauen Auge davon gekommen. 


Da es nun nicht mehr nass werden soll, suche ich mir eine möglichst wald- und sumpffreie Stelle um die Regen-Sachen auszuziehen.

Doch selbst hier dauert es keine 10 Sekunden und die Mücken sind zur Stelle.

Die eingesprühten Stellen meiden sie zwar, an die Finger und die Lüftungsschlitze im Helm hab ich allerdings nicht gedacht.

Die Biester freuts.


Der Vorteil, die Stiche jucken nur ein paar Minuten, danach ist der Spuk vorbei..


Immerhin. 


Nach Molkom muss ich noch 3 Kilometer die Hauptstraße ertragen, dann biege ich auf einen Schotterweg ab, der mich nach Deje führt. Dort möchte ich auf den Kläralvbanan wechseln um wenigstens noch einige Kilometer auf diesem Bahnradweg unterwegs zu sein.


Auch auf diesem Weg merke ich wiedermal, dass ich ständig im Linksverkehr unterwegs bin. 

Schon letztes Jahr hab ich mich oft auf der falschen Seite ertappt.


Als mir jedoch ein Rollerfahrer auf meiner Spur und kurz darauf diese Radfahrerin vor mir fährt, weiß ich, es liegt an der schwedischen Luft.



Noch eine Brücke in Deje trennt mich vom Bahntrassenradweg, der mich bis Karlstad bringt.


So zumindest die Theorie.



Da resigniere selbst ich, ohne Brücke ist jeglicher Versuch zwecklos.


Also außen herum.


In Forshaga lassen sie mich dann schließlich doch auf den Radweg.


19 km bis Karlstad. 

Bocklwegfeeling in Schweden.

Bis auf die windanfälligen Abschnitte ist dieser Radweg ein Traum. 


Durch Karlstad bleibe ich auf dem Vänerleden, so weiß ich wenigstens, dass ich auf keiner großen Straße lande.


Ich streife das Zentrum nur kurz, weiß auch, dass ich hier schonmal war, bin mir aber nicht mehr sicher, ob nur vorbei gefahren oder auch in der Stadt.

 

Auf Stadtbummel hab ich jedoch keine Lust, auch am Nachmittag nicht. Zu sehr suche ich die Ruhe, die mir in Dalarna so gut getan hat.




Einer dieser furchtbaren First Camp Campingplätze, mit seinen unverschämten Preisen, wie auch hier in Karlstad , wird es in diesem Urlaub nicht geben, daher buche ich mich in ein AirBnB Zimmer am Stadtrand ein.

 Der vorhergesagte Regen für die Nacht bestätigt mich in meiner Wahl.


Ein kurzer Stopp zum Umziehen, dann hole ich meinen Lauf von heute morgen nach. 


Gleich hinter dem Haus beginnt ein tolles Waldgebiet, mit ausgewiesenen Strecken unterschiedlicher Längen.


Da der Nachmittag trocken bleiben soll, mache ich einen Spaziergang an den Vänern, den größten See in Schweden

Die Sonne zeigt sich zwar nicht, der Regen aber auch nicht. 

Dennoch eine triste und trostlose Stimmung am See.. 

Genauso wie heute in mir drin. 



Viele Gedanken und Themen, die ich in den vergangenen 3 Wochen gut beiseite schieben konnte, drängen sich heute an die Oberfläche. 


Nicht immer schaffe ich es, alles zu ignorieren.


Dennoch.. morgen scheint die Sonne wieder.

Von oben .. und auch von unten...



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Tag 22: Karlstad - Säffle

94,20 km

1821,86 km Gesamt 


Der angekündigte Regen für die Nacht kommt, pünktlich am Morgen hört er jedoch auf.


So gehört sich das.


Da ich nun schon deutlich weiter im Süden bin, ist es morgens nicht mehr zu meiner gewohnten Zeit hell. Die ersten Kilometer laufe ich deshalb erstmal noch durchs Wohngebiet, am Ende dann durch das schöne Waldgebiet von gestern.


Bereits jetzt merke ich, der Wind ist auch heute weder auf meiner Seite, noch gnädig.

Er weht ordentlich aus Südwesten. 

Wiedermal genau aus der Richtung, in die ich fahre.


Im Wald erwische ich wieder tolle Wege, niemand ist unterwegs.


Auf einer kleinen Lichtung sticht mir schließlich ein Jäger auf einem Hochsitz ins Auge, auffällig orange gekleidet.

Bei solchen Begegnungen hab ich jedesmal ein ungutes Gefühl, mit meiner gelben Jacke sollte ich aber deutlich von einem Reh zu unterscheiden sein..


Ich schaue mehrmals in seine Richtung um mich zu vergewissern, dass er mich gesehen hat.. 


Keine Reaktion.. Nichts bewegt sich.


Ein wenig irritiert laufe ich weiter. Auch diese leuchtende Kleidung verwundert mich, in Deutschland passen sie sich doch alle farblich ihrer Umgebung an.. 


Vielleicht ist es nur eine Attrappe ? 

Eine Art Vogelscheuche nur für Wildtiere? 



Keine 2 Minuten später höre ich hinter mir einen Schuss...


Der war dann wohl doch echt..


Mein Weg führt mich heute nach Säffle. 

Es soll bis 10 Uhr bewölkt sein, danach kommt die Sonne. 

Kein Regen. 


Damit verschwindet die Regenausrüstung in den Tiefen der Taschen, denn auch heute ist es mit 15 Grad morgens wieder recht mild.


Schon auf den ersten Kilometern spüre ich den Wind und auch die Wolken sehen nicht so aus, als hätten sie keine Überraschung parat.


Auf einer langen Gerade bestätigt sich mein Verdacht - direkt vor mir kommt gerade eine heftiger Regenschauer vom Himmel. 

Und ich fahre gleich mitten hinein.


Viel Zeit hab ich nicht, ausgerechnet jetzt hab ich natürlich keine Möglichkeit zum Rad anlehnen.

Mitten auf der Straße muss ich halten und irgendwie versuchen, zumindest an den Poncho zu kommen. 


Wo war der nur?


Tasche 1? - Nein

Tasche 2? - Nein!

Also im Packsack - das Teil, was am schwersten unterwegs zu händeln ist. 


Da ich nur zwei Hände hab, bin ich sichtlich überfordert. 

Ständig rutscht das Fahrrad weg, irgendwas fällt auf den Boden oder ich bekomme die Taschen nicht auf..


Was für ein toller Start in den Tag.


Einigermaßen regenfest fahre ich schließlich weiter. 

300 m weiter eine Kreuzung - ich muss rechts weg.


Könnte ich Glück haben? 


Ich biege ab und die Tropfen halten sich tatsächlich in Grenzen.


Allerdings nicht lang, kurz vor Vålberg geht es richtig los. 

Ich flüchte in eine Bushaltestelle.


Dejavu!!




Ein kurzer Blick aufs Regenradar.. 

Das zeigt natürlich wieder mal nichts.

Warum stehe ich dann jetzt hier und werde nass?


Dejavu!!


Die Situation ärgert und nervt mich mehr, als ich das eigentlich möchte und zeigt mir wieder deutlich, wie weit unten meine Frustrationsgrenze dieses Jahr ist.

 Zu viel Energie und Kraft hat mich das wochenlange schlechte Wetter im vergangen Sommer gekostet.


Am Ende sind es zum Glück nur 10 Minuten, dann ist das schlimmste vorbei. 


Dennoch, der Wind bläst, die Wolken bleiben, die Straßen sind nass, überall riecht es nach Fisch.


Oder toter Regenwurm?


Ich muss mich gerade schwer bei Laune halten.


 Als ich an einer einigermaßen schönen Badestelle mit Sitzgruppe vorbei komme, sieht der Himmel zum Glück schon wieder freundlicher aus.

Auch ein wenig Blau ist zu sehen.

Auf dem Parkplatz allerdings ein Wohnmobil und ein Lkw der Pause macht..


Will ich hier bleiben?


Ich fahre ein weniger näher hin..


Nichts Fernfahrer.. 

Wo Wohnmobil drauf steht, wird auch Wohnmobil drin sein. 


Beim Nummernschild hab ich allerdings so meine Zweifel, dass es da auch zutrifft.


Ich beschließe die 16 Kilometer bis Värmskog noch weiter zu fahren. Dort gibt es eine weitere Badestelle.


Der nächste Abzweig lässt mein Herz höher schlagen.

Liegen hier die Anfänge meines roten Schwedenhauses?




Wobei mir die Goldgruva ja lieber wäre.


In Värmskog habe ich tatsächlich mehr Glück, ein geschlossenes Cafe mit Bänken und Tischen davor, noch dazu in der Sonne und mit tollem Ausblick.




Leider ändert sich meine Richtung nunwieder.. 

Ich muss weiter in südlicher Richtung.

Und damit hab ich auch den Wind zurück.


Was für ein mühsames Vorankommen.



Aber immerhin.. keine Mücken. 

Wo Pro, da eben immer auch Contra.


Hab ich Sonne, gibt's Wind.

Hab ich keinen Wind,  gibt's Mücken. 

Hab ich Regen... gibt's Regen ..


.. UND Mücken

...UND Wind..



Landschaftlich ist Dalsland wieder eine Gegend mit vielen Seen, die von Wäldern umgeben sind. 

Aber im Vergleich zu Dalarna sind die Seen an zu vielen Stellen mit bebauten Grundstücken versehen. 

Das nimmt einem ein wenig das  Gefühl der unberührten Natur .



In Säffle hab ich mich mit dem Wetter wieder versöhnt, dennoch ist heute ein komischer Tag.. 


Eine innere Unruhe, die ich nicht zuordnen aber auch nicht ablegen kann,  überschattet heute alles ein wenig. 


Vielleicht liegt es auch an dem verunfallten Fahrzeug, dass kurz vor Nyäster im Graben lag.. Momente.. auf die ich nicht gefasst bin.


Innerhalb weniger Sekunden ist man raus, aus seiner schönen Urlaubsblase.



In Säffle angekommen, mache ich mich am Nachmittag wieder auf den Weg in die Stadt. 


Ein kleiner Ort, der am gleichnamigen Kanal liegt.. 

Es kommt ein wenig Götakanal- Gefühl auf. 


Am Bootssteg setze ich mich schließlich in die Sonne, beobachte die Angler und die kleinen Boote, die auf die Schleuseneinfahrt warten..



Und genau wie am Götakanal letztes Jahr, werde ich hier wieder ein wenig ruhiger.. 

Das langsame Treiben an diesen Kanälen entschleunigt an jedem noch so aufwühlenden Tag.



Bei Britt und Kenneth darf ich heute die Nacht verbringen.

Und auch diese beiden sprudeln wieder nur so über vor Gastfreundlichkeit und Offenheit.

Wir verbringen den Abend gemeinsam in der Küche und erzählen uns gegenseitig Anekdoten aus unserem Leben und unseren Radreisen.


Was für ein sympathisches und herzliches Ehepaar.


Da möchte man das Haus am nächsten Tag eigentlich gar nicht wieder verlassen.





Und genau diese Begegnungen sind es, die den Tag am Ende oft noch in eine ganz andere Richtung lenken...



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Tag 23: Säffle - Bengtsfors 

Dalsland


86,76 km

1908,62 km Gesamt 



Kein Regen in der Nacht, keine Wolke am Himmel - dafür wieder deutlich kälter. 

So startet der Tag.

Aber lieber kalt als nass.


Beim Laufen bekomme ich heute wiedermal einen gingantischen Sonnenaufgang über den Säffle Kanal geschenkt. 



Heute wird Bengtsfors am Ende des Tages mein Ziel sein. 

Dabei hab ich versucht, die Strecke viel über den Dalsland - und Vänerleden zu planen .


Ein, zwei Worte über den Wind? 

Ist mittlerweile wohl überflüssig. 


Auf den ersten 20 Kilometern bis Åmal hab ich wieder eine Jacke zu wenig an, so macht es erstmal keinen Spaß.


Da ich nach einer Stunde ziemlich durchgefroren bin, mich die Wärme im Supermarkt glücklich macht, frühstücke ich kurzerhand in der kleinen Cafe-Ecke vom ICA.


Ein wenig aufgewärmter fahre ich einige Zeit später weiter, doch schon am Ortsausgang hole ich die Jacke doch noch raus. Der Wind ist einfach kalt. 


Die Entscheidung für die ausgewiesenen Radwege war hingegegen vollkommen richtig. 

Es geht war ständig hoch und runter und die kurzen Anstiege zerren an den Kräften, aber landschaftlich werde ich belohnt. 



Am meisten beeindrucken mich jedesmal die schwedische Guts- und Bauernhäuser mit ihren teils gigantisch großen und uralten Bäumen davor.



Der ein oder andere Ort kommt mir schließlich auch bekannt vor.




Kurz vor Dals Långed treffe ich auf den Laxsjön, der über den Dalsland Kanal mit den anderen See verbunden ist.


Immer wieder kommen kleine Schleusen, die auch heute noch per Hand betrieben werden. In so einem kleinen Wärterhäuschen darf der Schleusenwart den ganzen Tag die durchfahrenden Schiffe bedienen und beobachten.


Ob das so romantisch ist, wie es klingt, weiß ich nichts, allerdings zaubert mir die Vorstellung ein Lächeln ins Gesicht. 



Schon seit einer Weile merke ich, heute ist die Luft raus. 

Weder Lust noch Motivation sind gerade noch im Gepäck. Der Wind tut sein Übriges.


Manchmal bin ich einfach froh, dass mich keiner hören kann, wenn ich in der schwedischen Pampa gegen den Wind kämpfe .. oder viel mehr schimpfe. 


15 Kilometer noch.. das ist überschaubar.

Die Strecke ist zum Glück sehr schön, das lenkt ein wenig ab.


Auch heute wieder bin ich am frühen Nachmittag am Ziel.. 

Da der Wind mit zunehmender Tageszeit stärker wird, möchte ich keine Stunde länger auf dem Rad sitzen.



In Bengtsfors kommt dann auch die Erinnerung wieder.. Hier war ich vor zwei Jahren schon. 

Damals wirkte der Ort aber wie ausgestorben.. so viele Touristen hätte ich hier gar nicht erwartet. 

Aber ich kann's verstehen.. das Dalsland ist der Kanutraum schlechthin..



Ich suche mir lieber einen Weg abseits der Urlauber und finde einen schönen See, den man einmal umrunden kann. 




Mitten im Wald entdecke ich schließlich wieder eine traumhafte Hütte.. 

Blick über den See, Terrasse mit Sitzgruppe, innen ein Ofen und minimale Ausstattung.


Erst will ich weitergehen, mit Sicherheit ist die Tür verschlossen.

Meine Neugier lässt es mich dann aber doch versuchen.. 


Und tatsächlich.. die Tür ist offen.




Zum Glück wäre ich hier mit Gepäck am Fahrrad niemals hergekommen, so brauche ich mich wenigstens nicht ärgern..

Aber immer wieder toll zu sehen, was es alles für Möglichkeiten in Schwedens Wildnis gibt.. 




So langsam neigen sich meine Tage hier dem Ende.

Zu schnell ist die Zeit vergangen.. 

Und gerade deshalb bin ich froh, noch einen Abstecher ins Dalsland gemacht zu haben.. 

Die Landschaft und Natur ist auch hier schier unendlich.. Die Seen reihen sich aneinander, immer wieder einsame Kanufahrer auf den Gewässern.. 



Aber allen voran der alte Dalsland - Kanal.. 

Diese Wasserstraßen, vor allem aber diese eigene kleine Welt entlang dieser Kanäle, in denen die Uhren nicht weiterlaufen, die Häuser urig und klein und die Menschen sich ihre Ruhe nicht nehmen lassen, zieht mich immer wieder in seinen Bann und auch heute wieder verspüre ich den Wunsch, einfach eine Weile in diese eigene kleine Welt eintauchen zu können..


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Tag 24: Bengtsfors - Vassbotten


84,27 km

1992,89 km Gesamt


Der Tag startet besser als der vorherige. 

Ich fühle mich ausgeruhter und deutlich besser erholt.


Die obligatorische Laufrunde am Morgen muss sein und wiedermal sehe ich Wolken, die mir nicht gefallen.


Was die Wetter App sagt, ist eigentlich vollkommen egal.


Ich schaue trotzdem..

Lediglich eine Miniwolke. Wenn ich Glück hab, ist sie schon durchgezogen, wenn ich aufbreche.



Bereits vor ein paar Tagen hab ich die Route für heute geplant - es geht nach Vassbotten, an die norwegische Grenze. 

Die letzten Kilometer Richtung Norden..


Sollte es mit dem Wind wenigstens für einen kurzen Moment nochmal klappen?




Bis Dals Ed bin ich auf dem Dalslandleden unterwegs. 

Ruhig, auf Nebenstraßen, an Seen und Häusern in Alleinlage vorbei..

Schweden pur..



Die Wolken um mich herum sprechen wiedermal eine andere Sprache als "Wetter Online".


7 km , dann hab ich einen Supermarkt. 

Schaffe ich das im Trockenen ?


6 Kilometer schon.. den 7ten nicht.  



Ich nutze die Wärme im Supermarkt, frühstücke und hoffe, bis dahin ist die Wolke durchgezogen. 

Ist ja nur Eine.


Wunschtraum.


Als ich weiter fahren will, tröpfelt es immer noch. 

Ich starte trotzdem, aber in voller Regenmontur. 

Wie richtig diese Entscheidung war, zeigt sich in der nächsten Stunde.

Immer wieder wird es nass. 


Diese unberechenbaren Schauer und dieser ständige Wechsel zwischen freundlichen Abschnitten und Regenguss, die hab ich letztes Jahr schon verflucht. 

Und ich tue es auch heute wieder...




Einige Kilometer weiter treffe ich auf eine Leidensgenossin.. 

Auf dem Weg, auf dem ich unterwegs bin, hätte ich noch nicht mal mit einem Auto gerechnet, geschweige denn mit einer Bikepackerin.


Für einen kurz Plausch ist Zeit, sogar die Sonne kommt wieder ein wenig hervor und so erfahre ich, dass sie aus Barcelona kommt, seit einer Woche unterwegs ist und ihr Ziel Anfang September in Deutschland ist. 


Dann ziehen wir beide weiter. 


Sie mit Regenjacke und -hose, ich ohne.

 

Weiß sie mehr als ich? 



Laut Karte hat Vassbotten nichts zu bieten, es gibt lediglich einen Campingplatz. 

Da ich mich noch sehr gut an die weniger schöne Grenzgegend vor 2 Wochen erinnere, erwarte ich auch nicht viel.


Meine Hoffnung, auf den letzten Kilometern Rückenwind zu haben, zerschlägt sich kurze Zeit nun auch wiedermal gnadenlos. Er kommt zwar nicht von vorn, aber von der Seite. 


Mit all dem Gepäck am Rad bietet man leider viel Angriffsfläche und so komme ich immer wieder bedrohlich ins Schlingern.


Es wäre ja auch zu schön gewesen.


Der CheckIn am Campingplatz verläuft problemlos und hingegen meiner Vermutung liegt er wunderschön am Norra Bullaresjön.



Ganz in der Nähe soll es einen Wasserfall geben. 


Da ja meist jedes Rinnsal als Wasserfall verkauft wird, stelle ich mich auf nichts Spektakuläres ein, spaziere aber dennoch mal in die Richtung..



Am Parkplatz stehen dann tatsächlich einige Autos.

Zu Recht.. der Wasserfall ist tatsächlich ein richtiger  Wasserfall. 

Sogar bis an die Kante kann man als Fußgänger gehen, wodurch man einen imposanten Ausblick hat. 


Mitten durch den Fluss verläuft auch die Grenze zwischen Norwegen und Schweden. Und so springe ich immer wieder zwischen den zwei Ländern hin und her. 



In dem Moment höre ich hinter mir jemand sagen, ob es mir denn hier gefalle und wie oft ich schon da war. 


Ich drehe mich um und schaue in die Augen eines Mannes.. Geschätzt Mitte 40.


Toller Ort und ich bin das erste Mal hier, kläre ich ihn auf.

 

Als ich ihm schließlich noch erzähle, woher ich komme, spricht er plötzlich auf Deutsch weiter.

 

Eigentlich ist er Norweger, hat aber einige Jahre in Köln gelebt, daher kann er die Sprache.


Ich will schon weiter gehen, da fragt er, ob ich mit dem Auto da bin. 


Ich zucke nur die Schultern: 

Nein, mit dem Fahrrad.


Nein!! Echt jetzt? 

Warum macht man das?


Die Frage kann ich ihm in zwei Sätzen beantworten.

 Danach fällt ihm nicht mehr viel ein. 


Das sehe ich als meine Chance und versuche weiterzugehen, da weiß er mich mit der nächsten Frage aufzuhalten.

"Hast du Snapchat? Können wir Freunde sein?"



Und ich dummes Huhn sage auch noch "Ja" 🤦🏼‍♀️!!!





Da ich aus der Nummer nun eh nicht mehr raus komme, darf er auf meine Freundesliste.

Zumindest bis ich ums nächste Eck bin.


Ich meine, so ein schwedischer oder norwegischer Mann wäre ja schon toll, aber doch bitte kein "Können wir Freunde bei Snapchat sein" - Typ !!


Nachdem ich mich nun endlich loseisen kann, schlendere ich langsam zurück, lösche hinter dem nächsten Baum den Kontakt und genieße die kurzen Momente, in denen sich die Sonne heute doch noch zeigt.. 



Die Zeit am Abend nutze ich noch und plane die restlichen Tage.


Morgen geht's nochmal an die Küste, von dort Richtung Süden bis Göteborg.


Sofern es der Wind und das Wetter wollen..🙏🏼



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Tag 25: Vassbotten - Örn


87,83 km

2080,72 km Gesamt


Am Abend schlafe ich mit gemischten Gefühlen ein.

Einerseits freue ich mich auf 2 Tage Westküste, auf der anderen Seite hab ich einen riesen Respekt vor dem angekündigten Wind, den ich vor 2 Jahren schon mal live erlebt hab. Sollte es wieder so sein, ist an Radfahren nicht zu denken.


Der Morgen ist noch ruhig, wenn auch wieder sehr kühl.

Leichter Nebel liegt über dem See... 

Eine fast magische Stimmung..



Der Wind soll mit voranschreitender Tageszeit stärker werden, daher starte ich wieder früh. 


Auf die ersten 3 km Kilometer muss ich gleich mal über 150 Höhenmeter überwinden. Es gibt zwar schöneres als so ein Kaltstart, aber so friere ich zu Beginn schon mal nicht.



Bis Tanumshede komme ich gut vorwärts, der Wind hält sich noch zurück..


Da ich direkt an den Jahrtausende alten Felsenmalereien vorbei kommen, bleibe ich stehe und schaue sie mir an. 


Die Bilder sind ungefähr 3.000 Jahre alt und stammen aus der Bronzezeit. Früher lagen sie am Meer. Dann aber kam die Landhebung, und nun befinden sich die Kunstwerke rund 20 Meter über dem Meeresspiegel und weit weg von der damaligen Küste.

Die Bilder stellen Menschen, Boote, Waffen, Tiere, Jagd und Kampf dar. Bei vielen Bildern ist der Interpretationsspielraum groß.

Mittlerweile zählen sie zum Welterbe.



Danach geht es weiter und bei Fjällbacka treffe ich schließlich auf die Küste. Der Wind nimmt spürbar zu, dennoch nicht annähernd das, was ich dort kenne.



Immer wieder fahre ich nun durch kleine Fischerdörfer.

 Hamburgsund, Bollvallstrand, Hunnebostrand...

Ein Dorf schöner als das Andere...


Kurz vor Hunnebostrand kommt mir eine Familie mit zwei kleinen Kindern entgegen.

Freudig winken sie mir zu und klatschen Beifall. 


Endlich mal jemand der weiß, wie man sich zu verhalten hat, wenn man allein auf dem Rad gegen den Wind kämpft 💪🏼


Am Ortsausgang erwische ich schließlich einen Lkw, der genau in meiner Geschwindigkeit vor mir her fährt. 


Im Sommer im Windschatten eines Müllautos zu fahren, ist zwar nur so mittelschön, aber man nimmt ja mittlerweile was man kriegen kann.


Mein Ziel heute ist ein Campingplatz in Örn, etwas südlich von Smögen. 


Die Sonne scheint, mit einer Jacke ist auch der Wind erträglich und so mache ich mich am Nachmittag auf den Weg zur Fähre, die mich auf die Insel Malmön bringt. 



Die gelben Autofähren pendeln permanent und sind in Schweden kostenlos, so besteht auch nicht die Gefahr, den Fahrplan aus den Augen zu verlieren und die Nacht auf der Insel verbringen zu müssen.




Wie schon im Dezember in Göteborg, bin ich auch heute wieder auf dem Kuststigen unterwegs. 

Ein traumhafter Wanderweg, der über viele der Schäreninsel führt.



Markiert ist er mit einem blau-weißen Punkt, der in dieser kargen Landschaft meist auf irgendwelche hingelegten Steine gemalt ist. Die meiste Zeit ist man damit beschäftigt, auf einem erhöhten Felsen über die Steinwelt zu spähen und nach den Markierungen zu suchen. Man fühlt sich ein wenig wie bei einer Schnitzeljagd.



Irgendwann ändere ich meine Taktik.

Ich suche mir den Stein, den ich am entferntesten Punkt noch finden kann und wähle schließlich meinen eigenen Weg. Damit bin ich schneller. 


Mich wundert es sowieso, dass sich noch niemand einen Spaß daraus gemacht hat und die Steine einfach irgendwo anders hinlegt.


Oder komme auf solche Gedanken nur ich? 


Auf der Westseite spüre ich den Wind nun in voller Stärke. Aber so gehört sich das, auf einer Schäreninsel.


Am Ende werden es fast 16 Kilometer, die ich auf Malmön und bis zum Campingplatz zusammen bekomme..

Zu schön ist der Blick aufs Meer und das Rauschen der Wellen.



Genau als die Fähre von der gegenüber liegenden Seite eintrifft, bin ich am Fährableger.


Punktlandung.


Warum man nun allerdings an einem Montag um 17 Uhr plötzlich die Fähre 20 Minuten mit dem Dampfstrahler reinigen muss, versteht man wahrscheinlich auch nur, wenn man Schwede ist. 


Zurück am Campingplatz merkt man nun langsam, dass hier keine Ferien mehr sind. 

Es wird überall leerer, die Preise rutschen in die Nebensaison. 


Für mich heißt es hier heute Abend noch Sonnenuntergang anschauen..

Wenn man die Nacht schon an der Westküste verbringt, ist das Pflichtprogramm. 


Und vielleicht lenkt es auch ein wenig ab, vom Wehmut und der mitschwingenden Traurigkeit über die baldige Heimreise...



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Tag 27: Örn - Ljungskile 


85,12 km

2165,84 km Gesamt 




Morgen wieder mehr ...



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Tag 28: Ljungskile - Göteborg 


76,66 km

2242,50 km Gesamt


Vergangene Nacht durfte ich bei Josef in Ljungskile verbringen.

Eigentlich wohnt er in Hagfors, der Ort, für den ich ursprünglich angefragt hatte. 

Leider war er nicht zu Hause, wenn ich aber in der Nähe von Udevalla bin, soll ich mich melden, dort hat er auch eine Wohnung. 

Somit bin ich gestern bei ihm gelandet. 


Kurz nachdem ich angekommen bin, weißt er mich  in alles ein, Toilette auf dem Gang, Dusche im Keller, Kurzanleitung wie man Oatmeals macht, wenn ich will, kann ich 2,3,4 oder 5 Nächte, bleiben dann drückt er mir den Schlüssel in die Hand und ist weg...


😳 


Etwas unbeholfen stand ich da.


Wo ist da jetzt der Haken?


Ganz offensichtlich gab es keinen, die Nacht war ruhig, Tür absperren war überflüssig und auch mein Rad steht am Morgen noch im Carport.


So viel zum gestrigen Tag. 


Der Wetterbericht für heute  verheißt nichts Gutes. Ich habe Zeit bis 8, dann kommt ein großes Regenband, das bis zum Nachmittag anhalten soll. 


In Stenungsund, 20 Kilometer entfernt, bin ich mit Matthew verabredet. 

Ich starte 6:30 Uhr.. das sollte ich trocken schaffen.


Danach geht es auf dem kürzesten Weg nach Göteborg zu Matthews Wohnung.



Ich komme ganze 10 Kilometer, dann sitze ich am Straßenrand, ziehe Regenhose, Regenjacke und Überziehschuhe an.. 

Der Regen wieder mal über 1 Stunde zu früh.


Tja... Manche Sachen lerne ich halt doch einfach nie.


Kurz nach 8 bin ich am Treffpunkt, die erste Stunde im Regen hab ich hinter mir. 

Umso mehr freue ich mich über Wärme, einen trockenen Ort, Cappuccino und Matthew.


Mit ihm verbinde ich sehr viel. 

Wenn ich an meine Radreisen denke, denke ich automatisch als erstes an ihn. 

Schon letztes Jahr hat er mir immer wieder Worte mit auf den Weg gegeben, die mich immer noch begleiten.


Auch diesmal war er wieder von Zuhause am Computer mit dabei.  

Nicht nur, dass er jeden einzelnen Tag verfolgt, er hat auch oft in den richtigen Momenten die richtige Worte geschickt.


Matthew war es auch, der mir Ende letzten Jahres eine ganz wichtige und notwendige Auszeit geschenkt hat, in dem er mich nach Göteborg eingeladen hat und ich bei ihm wohnen durfte... 


Und auch heute wieder ist es eine tolle Zeit, die ich mit ihm verbringe. 


Er gibt einem ein Gefühl, dass ich nur schwer beschreiben kann..  

In keiner anderen Begegnung lag und liegt so viel Authentizität.


Für mich einfach ein ganz besonderer Mensch, der meine Radreisen auf eine gewisse Art und Weise prägt..


Da er beruflich einen Termin einige Kilometer weiter hat, brechen wir schließlich beide einige Zeit später wieder auf..



Schweren Herzens.


Der Regen hat nicht aufgehört, da hat Matthew es im trockenen Auto schon besser erwischt.


Noch stehe auch ich trocken unter einem Vordach, ziehe die nasse Regenjacke wieder an... und bin kurz davor in den Zug zu steigen.


Weitere 3 h im Regen, Wind von vorn.. 


Es fehlt einfach die mentale Stärke dieses Jahr.. Komplett.


Aber soll mein vorletzter Tag im Reisebericht wirklich mit : 

Es hat ein bisschen geregnet und deshalb steige ich nach 20 Kilometer verweichlicht in den Zug " 

enden ? 


Letztes Jahr bin ich fast 4 Wochen durch den Regen gefahren, und jetzt scheitere ich an 4 Stunden? 


Es dauert einen Moment, dann komme ich zur Besinnung.


Und wenn ich noch 5 h nass werde, das ziehe ich durch.



Für die nächste Stunde bin ich damit beschäftigt, mich bei Laune zu halten.

 

Unterwegs noch schnell ein Foto von Kungälvs Burg... Regenfotos hab ich eigentlich von letztem Jahr noch genug, aber sonst gibt's heute ja gar nichts zum Schauen.


Irgendwann erreiche in den Punkt, da wird's mir tatsächlich egal, nässer als jetzt kann es nicht mehr werden.


Kurz nach Kungsälv breche ich die kürzeste Route ab und hole mir die längere auf den Tacho.



Wollte da wirklich jemand vor 2 Stunden in den Zug steigen?


27 km noch bis Göteborg, dann drücke ich auf Stopp. 


Der Regen auch!!



Mittlerweile weiß ich, was mich erwartet.. 

Das Fahrrad unter die Treppe, einmal alles in den dritten Stock und dann...


Ja.. und dann.. 


Matthews eigenwilliges Türschloss.. 


Wie viel Zeit hab ich schon davor verbracht.. 

Wie viel Nerven hat es mich schon gekostet..


Das ist ein wenig wie mit manchen Menschen. Schlüssel und Schloss müssen mit ganz viel Fingerspitzengefühl behandelt werden und nur wenn man den richtigen Moment erwischt, in dem der Hebel, der Schlüssel und der Zylinder in der richtigen Position sind, die Sonne richtig steht und die Lichtverhältnisse passen, dann, ja nur dann, öffnet sich die Tür..


Vielleicht.


Heute um 12:41 Uhr und 23 Sekunden scheint ein guter Moment gewesen zu sein - eine halbe Minute  hab ich gebraucht.


Neuer Rekord?


💪🏼


Nach über einem halben Jahr stehe ich nun wieder  in Matthews Wohnung  und es fühlt sich an, als wäre ich nie weg gewesen. 

Lediglich der Weihnachtsbaum fehlt.


Am allermeisten freue ich mich jetzt jedoch erstmal, die nassen Sachen ausziehen und duschen zu können.


Am Nachmittag soll sich die Sonne noch zeigen und es scheint tatsächlich zu stimmen, die blauen Stellen am Himmel werden größer.


Und so genieße ich meine letzten Stunden Sonnenschein in Schweden bei einem großen Spaziergang durch das Änggårdsbergens Naturreservat...