"Es sind die Begegnungen mit Menschen, die das Leben lebenswert machen."


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Tag 15: Uddeholm - Hällefors 


88 km

1076,54 km Gesamt




..und dann gibt es diese eine Begegnung, die deinen Tag zu einem Besonderen machen..




Ich schlafe sehr gut, in diesem kuriosen Museum. Aber wer weiß, wie viele Geister hier nachts um die Gäste kreisen und über sie wachen.


Gegen Mitternacht weckt mich der Regen.. 

War angesagt, stimmt ausnahmsweise mal.


Der restliche Tag soll, bis auf einen kleinen Ausreißer am Vormittag, trocken bleiben. 

In Uddeholm sagt es Regen ab circa 8, in Hällefors ab 11 Uhr, jeweils für 1-2h.


Je schneller ich also fahre, desto später werde ich nass. 


Dementsprechend früh werde ich wach. 

Die Luft ist ungewöhnlich warm, es ist wolkig, aber nach Regen sieht es morgens halb 5 noch nicht aus. 

Da ich nicht mehr schlafen kann, gehe ich laufen. 

Heute leider ohne Sonnenaufgang..


Kurz vor 6 Uhr verlasse ich schließlich die Gemäuer und mache mich auf den Weg. 

Erst nach Hagfors, dann weiter auf einem Teil des Sverigeleden bis nach Lesjöfors und von dort die restlichen 30 Kilometer bis Hällefors. 


Mein Vorteil, ich fahre heute recht lang in Richtung Osten, dem Regen also davon. 

So zumindest die Theorie.


Die ersten 8 Kilometer bis Hagfors bleibt es trocken. Aber klar, soll ja auch erst gegen 8 Uhr anfangen.


Vielleicht schaffe ich es ja sogar bis Lesjöfors? Dort gibt es einen Supermarkt. 


Ich habe diese Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, da spüre ich schon die ersten Tropfen.

      6:30 Uhr !!

Ist dass das neue um 8?


Da der Regenponcho schnell angezogen ist, überlege ich gar nicht lang. Lieber einmal mehr an- und wieder ausziehen, als nass werden.


Die Bundesstraße ist zu dieser Tageszeit zum Glück noch wenig befahren, so bekomme ich wenigstens nicht auch noch zusätzlich die Gischt der vorbei fahrenden Autos ab. 


Kurz nach Geijersholm, dem längsten aber zum Glück flachen Anstieg des Tages, bleibt neben mir plötzlich ein Auto stehen.


Eigentlich will ich einfach nur weiter, es regnet. 

Wenn du mich also fragen willst, wie der Weg ist - ich weiß es nicht..


Sage ich nicht, denke ich zum Glück nur.


"Good Morning",

 ist alles, was ich höre..


Moment... 


Die Stimme kenne ich. Ich schaue durch das geöffnete Fenster und glaube erst nicht recht , wen ich sehe.


Der sympathische Schwede von vorgestern, der mir mitten im Nebel im Wald, mit einem tollen Gespräch und seiner Hilfsbereitschaft,  ein Lächeln ins Gesicht gezaubert und den Moment gerettet hat, steht nun wieder neben mir und freut sich mindestens genauso wie ich. 


Soll ich dich mitnehmen?


Noch in der selben Sekunde bekommt er ein "Niemals" von mir zu hören. Das scheint ihn sichtlich zu beeindrucken. 


Wieder verfallen wir in ein tolles Gespräch. Seiner Tochter hat er von mir erzählt, außerdem hat er einen Freund in Borlänge, mit dem er immer Fußball spielt, bei ihm könnte ich übernachten. 

Schließlich fragt er nochmal, ob er mich mitnehmen soll.. 

So schwer es mir fällt, aber Nein.

Da hab ich leider meine Prinzipien.. 

Radreise ist Radreise. 


Magst du Pilze?


Warum um alles in der Welt denkt der jetzt an Pilze? 

Oder hab ich falsch übersetzt? Aber mushrooms sind doch Pilze...

Dort vorn würde es ganz viele geben, klärt er mich auf.

Ich bedanke mich, auch wenn ich nicht weiß, was ich morgens halb 7 mit Pilzen soll.


Kurz bevor wir beide wieder aufbrechen, erklärt er mir noch, welche Strecke er jetzt fährt, falls ich Hilfe brauche. Keine Minute später hab ich seine Handynummer.

Dann verabschieden wir uns..


Ist das wieder einer meiner Radengel, die es auch letztes Jahr schon gab?


Heute ist es nicht der Nebel, den er ein wenig heller macht, heute schafft er es, dass trotz des Regens die Sonne scheint.


Und so schön diese Begegnung auch heute wieder war, so traurig stimmt es mich jetzt, dass sich unsere Wege trennen. 





Für mich geht's nun weiter über den bisher höchsten Berg. Bis auf knapp 330 Meter komme ich heute..

Der Mont Blanc von Schweden? 



Der Regen hat zum Glück wieder aufgehört.. 

Mal sehen, was in den nächsten Stunden noch kommt.


Und während ich so vor mich hin radel, spüre ich eine ganz tiefe Zufriedenheit in mir.. 

Egal wie das Wetter heute noch wird, es kann meinen Sonnenscheinmoment nicht kaputt machen... 




Eine Möglichkeit zum Essen kommt wiedermal nicht, aber ich traue mich auch nicht, eine Pause zu machen. 

Und überhaupt fühlt sich der Tag heute an, wie die 3,5 Wochen im letzten Jahr - ich bin wieder mal auf der Flucht. 




Am Ende stehe ich nach 46 km in Lesjöfors vorm Supermarkt.. 

Öffnet allerdings erst um 9. 

20 Minuten noch.. 

Da das Regenband bereits 9:30 Uhr hier ankommen soll, nutze ich lediglich die Bank vorm Eingang, alles andere hab ich eh dabei. 


9:10 Uhr sitze ich wieder auf dem Rad.. So schlimm sieht der Himmel doch gar nicht aus.. 

In welcher Wolke soll da jetzt der Regen sein.

Dass das Wunschdenken ist, weiß ich. Das Radar lügt nicht.


5 Kilometer in Richtung Süden, dann zweige ich wieder in östliche Richtung ab.

Das sollte mir nochmal ein wenig Vorsprung verschaffen.


Leider ist es erneut ein geschotterter Weg, so komme ich nicht ganz so schnell voran wie gewünscht.


Und dann dauert es keine 10 Minuten, da hat mich der Regen eingeholt. 


Mist !


Wieder mal mache ich mich regenfest. 


Der Weg endet zum Glück recht bald und ich bin wieder auf asphaltierter Straße unterwegs. 

Was für eine Wohltat. 

Auch der Regen lässt nun widererwartend nach..


Ich traue dem Ganzen jedoch nicht, das Regenband hab ich noch bildlich vor Augen. 

Das Regencape bleibt erstmal dran. 


Da der Himmel dennoch ungewöhnlich hell ist, die Temperaturen mehr als angenehm, wage ich es nach einigen Kilometern doch und ziehe es aus. 


Anscheinend bin ich tatsächlich gerade nochmal mit einem blauen Auge davon gekommen, die Regenwand ist an der kleine Bergkette erstmal hängen geblieben..


Ab jetzt geht's nur noch südwärts bis Hällefors. Dort soll es ja sowieso erst ab Mittag soweit sein. Sollte ich tatsächlich Glück haben? 


An der nächsten Kreuzung schließlich ein Wegweiser. Da sie hier bei den Entfernungen in größeren Dimensionen denken und Schilder oft schon viele hundert Kilometer vorher auftauchen, bin ich manchmal ganz froh, dass keine Kilometer dran stehen.



Die Landschaft ist auch heute wieder ein einziges Schauspiel.. Trotz des trüben Wetters liegt eine geheimnisvolle Stimmung in der Luft... 




Etwa 8 Kilometer vor Hällefors führt mich meine geplante Strecke nochmal auf einen Schotterweg, die Straße verläuft parallel in einem etwas weiteren Bogen.


Kurz überlege ich... Schotterweg oder Straße?


Ach komm, so schlimm wirds schon nicht sein. Falls doch, 8 Kilometer ist nicht lang, einmal von Kemnath bis Wernberg.. Das schaffst du zur Not auch bei widrigen Bedingungen.

Damit ist die Entscheidung gefallen..


..und kurz darauf schon wieder bereut. 


Der Weg verläuft durch eine Stromtrassenschneise, der Wind frontal von vorn, immer wieder Bodenrillen oder tiefe Schlaglöcher.


Spaß macht es keinen.. Aber auch dieser Weg schafft es heute nicht, mir meinen Tag zu verderben. 


Kurz bevor ich in Hällefors ankomme, werden die Wolken bedrohlich dunkel. Sollte das tatsächlich eine Punktlandung werden? 


Für heute bin ich in einem Wanderheim untergekommen. Im letzten Jahr waren das oft gute und günstige, vor allem aber trockene, Alternativen. 



Und auch hier habe ich wieder Glück. 

Tolle Zimmer, eine ordentliche Küche und ein schöner Gemeinschaftsraum. 



In einem kurzen Gespräch mit der Inhaberin erfahre ich, dass viele Deutsche hier her kommen, da es eine beliebte Kanuregion ist.. 


Schon letztes Jahr hat mir dieses Flair in den Wanderheimen total gefallen und so ist es auch hier wieder.. Es hat ein wenig was von Klassenfahrt zu Schulzeiten. 

Fühlt man sich gleich gar nicht mehr so alt. 





Bei meinem Rundgang mache ich dann schließlich eine Entdeckung, die ich lieber nicht gemacht hätte..

Dass in einem Hostel Bärenkacke in einem Schraubglas zu finden ist, das bedeutet nun was genau?


Damit ist jeglicher Wildcamp-Gedanke verworfen. Vor 8 gibt's auch keine Laufrunden mehr in den Wald. 



Pünktlich mit meiner Rückkehr vom Supermarkt, fängt es wolkenbruchartig an zu regnen. Und so bleibt es auch  bis zum Nachmittag. 


Da ich nicht mehr auf dem Rad sitze und das heute auch nicht mehr vor hab, stört es mich nicht. 

Lieber soll heute alles vom Himmel kommen, morgen dafür weniger. 

Gewagter Wunsch, aber vielleicht klappt's ja..


Es regnet bis zum späteren Nachmittag. Endlich mal Zeit, im Bett zu liegen und nichts zu tun..

 So ein Regennachmittag hat auch was Gutes. 


Gegen Abend hört er auf, es wird auch wieder ein bisschen freundlicher.

Und so vertrete ich mir nun doch noch ein wenig die Beine. 

Ich verlasse ungern einen Ort ohne etwas davon gesehen zu haben.




Was der morgige Tag nun bringt, steht noch in den Sternen. Die Vorhersage schon seit einer Woche unterirdisch. Im Moment sieht es bis Mittag ganz gut aus, dass Blatt kann sich aber bis morgen früh wieder komplett wandeln.

Sollte es tatsächlich den ganzen Tag nass werden, bleibe ich einen weiteren Tag in Hällefors.

Insgeheim hoffe ich jedoch, ich kann weiterfahren...




Am Abend lasse ich meinen Tag Revue passieren und bleibe dabei bei Ragnar hängen.. 


Diese Gegend hier ist so weitläufig.. 

Die erste Begegnung mit ihm war vor 2 Tagen und dennoch kreuzen sich heute wieder unsere Wege..

Viele Kilometer vom ersten Ort entfernt.. 

Erneut in einem Moment, in dem ich einen Lichtblick gebraucht hab...


Was gibt es in meinem 2024 nur alles für sonderbare aber manchmal schöne Zufälle.. !?




Und wie passend dieser Spruch heute aus meinem Kalender ist.. ⭐



Tag 16: Hällefors - Skaraborg (Borlänge)


119,82 km

11849 km Gesamt


Am Abend schreibe ich noch lang mit Ragnar und erfahre sehr viel über ihn. Unter anderem, dass er Mutterbäume aufzieht, die Samen für neue Wälder geben. 

Als junger Erwachsener war er oft in Deutschland und in den letzten Jahren verbringt er immer wieder seinen Urlaub dort. Erst in den vergangenen Wochen war er wieder in Berlin und Hamburg.


Dass wir in der vorletzten Nacht nur 1 Kilometer voneinander entfernt waren, stellen wir zu späterer Stunde auch noch fest. Er wohnt gleich in der Nähe des Museumshotels.


Da mein Tag wieder früh beginnt, verabschiede ich mich zu später Stunde ins Bett. 


"Irgendwann und irgendwo sehen wir uns wieder.." sind seine letzte Worte an diesem Tag ...


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Bis Mittag soll es heute trocken bleiben, dann kommt der große Regen. Für mich heißt das wieder zeitig aufstehen um so früh wie möglich auf dem Rad zu sitzen.


Der Morgen startet mit einem zaghaften Sonnenaufgang. Wiedermal fällt es schwer zu glauben, dass das Wetter in den nächsten Stunden so umschlagen soll.




Kurz vor 6 bin ich startklar. 

Von Hällefors aus geht es erstmal in Richtung Norden. 


Schon nach 2 Kilometern überlege ich, wie wahrscheinlich es ist, meine Handschuhe zu finden..12 Grad.. Nur 2 weniger als die letzten Tage, trotzdem fühlt es sich verdammt kalt an.


Die Handschuhe schlage ich mir aus aufwandstechnischen Gründen aus dem Kopf. Die Ärmlinge und die Regenjacke müssen es richten.


Die Hauptstraße ist zum Glück noch wenig befahren, ich komme gut voran.


Vor Jordbron zweigt die Straße schließlich ab, aus Asphalt wird wieder Schotterweg.. 

Auf dem gut festgefahrenen und relativ glatten Weg lässt es sich aber problemlos fahren.




Was nun folgt, ist der wohl schönste Streckenabschnitt meiner bisherigen Reise... 


Sanft steigt die Straße auf über 350 Höhenmeter an, man merkt sie aber kaum. 

Ich durchquere nebeldurchzogene Wälder..

Wie aus dem Nichts taucht immer wieder ein traumhafter  See auf, der sich wie gemalt in die Landschaft fügt...

Ein Anblick schöner als der Andere. 

Am liebsten würde ich Stunden hier stehen und alles auf mich wirken lassen. 


Alle Menschen mit Burnout sollten sie nach Schweden schicken.


Auch ich fühle mich hier und heute unglaublich wohl und angekommen.




Währenddessen schreibe ich immer wieder mit Ragnar. 

Er muss heute in Borlänge arbeiten.

 Wenn ich es bis dorthin schaffe, könnte ich im Haus seines Freundes übernachten. 


Was für ein tolles Angebot. Aber 138 km? 


In den folgenden Stunden spielen wir alle Möglichkeiten durch, die wir haben. 

Bis Ludvika und den Rest mit dem Zug ? 

Soweit wie ich komme und er holt mich nach dem Fußballspiel, das er mit einem Freund schauen will, ab?

 Bei der Bahn wissen wir jedoch beide nicht, wie es mit der Fahrradmitnahme ist und nach dem Fußballspiel um 21 Uhr ist zu spät. 


Wir beschließen irgendwann, dass ich in den nächsten Tagen  nochmal einen Abstecher über Uddeholm mache.


Richtig zufrieden bin ich mit dieser Lösung allerdings nicht. 

Ein schöner Abend in netter Gesellschaft wäre genau das, was ich nun langsam mal brauche. 


 


Mit Gudmundberget erreiche ich den höchsten Punkt meiner heutigen Strecke. Ab jetzt geht es nur noch bergab.

30 Kilometer... Was für eine schöne Vorstellung.


Ich wechsle auf einen Bahntrassenradweg. Kilometerweise geht es sanft bergab, der Wind von hinten..  


Nur fliegen ist schöner..




Nach 11 Kilometer ist der Spaß leider vorbei und ich erreiche Ludvika..

Da wäre er, der Bahnhof. 


Für mich gibt's nur einen Cappuccino in der (noch) Sonne, dann fahre ich weiter.


In  Smedjebacken bleibe ich eine ganze Weile im Supermarkt hängen.. leider zu lang. 

Der Regen holt mich ein. 


Da es kein strömender Regen werden soll, fahre ich dennoch weiter. 

Aber schon kurz darauf ziehe ich den Regenponcho an. 

Auf Dauer durchnässt man wenn's nieselt.


Dass die Hauptstraße, über die der Sverigeleden führt, über 15 Kilometer keine Unterstellmöglichkeit bietet, damit hätte ich nicht gerechnet.


Irgendwann hab ich dann doch noch Glück.

Anscheinend kommt die Müllabfuhr. So müssen die Tonnen leider in den Regen und ich darf in den Unterstand.


Währenddessen eine Nachricht von Ragnar.


Ich macht jetzt Feierabend, wo bist du?


Ich fahre noch 5 Kilometer weiter, drücke auf Stopp, speichern und schicke ihm meinen Standort.


30 Minuten später sitze ich in seinem trockenen Auto und freue mich auf eine warme Dusche im Haus seines Freundes Anders.


In Borlänge angekommen weist Ragnar mich kurz in alles ein, zeigt mir mein Zimmer und das Bad.


Mit den Worten, die Dusche kannst du benutzen, verabschiedet er sich nach unten.


Glaube ich natürlich.

Hätte ich aber mal lieber nicht machen sollen.


Da ich friere, dusche ich ein wenig länger, bis ich wieder warm bin.

Dass ich währenddessen das ganze Bad unter Wasser setze, weil sie ganz offensichtlich defekt ist, merke ich leider erst, als es schon zu spät ist. 


Und da stehe ich nun, lediglich mit einem Handtuch bedeckt, im Bad einer fremden Familie in dem ich jetzt auch schwimmen könnte und hoffe, dass sich mein Problem hier jetzt einfach ganz schnell in Luft auflöst.


"Oh Karina, ich wusste nicht, dass die Dusche keine gute Idee ist", höre ich es in dem Moment schon vor der Tür.


Meine Rettung, das Problem ist anscheinend bekannt.

Ragnar kommt schnell mit Handtüchern zur Hilfe und beseitigt das gröbste Chaos. Damit wäre ich dann wohl aus dem Schneider.


Als ich wieder in die Küche komme, fühle ich mich keiner Schuld mehr bewusst. 

" Sorry, i didnt realize, that your shower is a very shit construction"., ist alles, was mir dazu noch einfällt 🙈


Anders verabschiedet sich schon etwas früher zum Fußballspiel.

Und so sitze ich mit Ragnar bei wundervollen Gesprächen noch eine ganze Weile in der Küche, bis auch er sich irgendwann auf den Weg ins Stadion macht.




Was für zwei tolle Menschen, in einem tollen Land, an einem tollen Tag ... 🇸🇪❤️


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Tag 17: Borlänge - Nås

(Jammertag)


88,25 km

1284,61 km Gesamt



Manche Tage brauchen nicht viele Worte. 

Ein paar wenige kommen aber dennoch.


Die Nacht war eher so naja.. Nicht wirklich erholsam, aber auch nicht richtig schlecht.


Der Regen hat in der Nacht aufgehört, die Sonne geht auf, trotzdem ist alles nass. 


Schon beim Laufen merke ich, es weht ein frischer Wind. Aus welcher Richtung er kommt, beachte ich in dem Moment noch nicht.. 

Großer Fehler. 


Meine Runde führt mich ein Stück um den Dalälven, dort führt ein Weg am Ufer entlang , somit erspare ich mir ewiges Asphaltlaufen.




Kurz nachdem ich das Wehr überquert hab, führt ein schmaler Pfad durch gut bewachsenes Gebiet. Kaum Steine oder Wurzeln, ich finde dennoch einen, der für meine Füße zu hoch ist.


Der erste Sturz!


Wenigstens nicht mit dem Rad, macht's aber nicht wirklich angenehmer. 


Leider schaffe ich sowas in regelmäßigen Abständen und heute hat's dann wohl mal wieder sein müssen 🙄 


Anders als sonst merke ich sofort, was alles weh tut.. Auch die Jacke hat es erwischt.. 


Zum Glück ist um die Uhrzeit noch keiner unterwegs.. 


Zurück bei Anders im Haus mache ich eine grobe Bestandaufsaufnahme.. Überall ein paar Schürfwunden, blaue Flecken und der Oberschenkel geschwollen..


Vielleicht sollte ich mich für den Rest des Urlaubs nur noch aufs Radfahren konzentrieren... 


Ich packe schließlich meine Sachen und schleiche mich leise aus dem Haus. Anders ist erst halb 4 nach Hause gekommen, Ragnar ein wenig früher, ich möchte keinen von beiden wecken.


Bereits die ersten Kilometer auf dem Rad sind eine reinste Quälerei.. Der Wind ist kalt und kommt frontal von vorn. 

Hätte ich mich mal besser für die andere Tour, in die andere Richtung entschieden.


In Borlänge halte ich dann erstmal am Supermarkt. Draußen Frühstücken mag ich heute nicht, zu kühl ist die Luft.

Die Pfandautomatenproblematik in Schweden hat sich seit letztem Jahr übrigens auch nicht verändert und so benutze ich das erste Mal das Rad, um zum Automaten zu fahren.


Wer bitte überlegt sich sowas!?


Länger als gewollt verweile ich im Warmen, aber irgendwann hilft's nichts...


Augen zu und durch.


Die ersten 40 Kilometer führen über eine Straße, wenig Verkehr aber immer wieder freie Flächen, auf denen der Wind leichtes Spiel hat. 

Viel zu oft  komme ich kaum voran.. 

Es ist einfach nur mühsam. 


An jeder Haltestelle spiele ich mit dem Gedanken, einfach zu warten und in den nächsten Bus zu steigen.


Ach ja.. 

Mein Ziel heute ist Nås... Zumindest in der Theorie.


Mit jedem Kilometer sinkt meine Laune und meine Motivation. 


Jetzt einfach umkehren und mit dem Wind wieder nach Borlänge fahren?


Ich spiele alle Möglichkeiten durch.. Egal ob sinnvoll oder nicht.


Landschaftlich ist es heute im Vergleich zu gestern einfach nur so naja.. 

Lediglich auf einer Länge von 10 Kilometer, die über einen Waldweg führt, kommt hin und wieder mal ein kleiner See, ansonsten muss man nicht viel schauen und kann weiter fluchen..


In Björbo, ungefähr 15 Kilometer vor Nås, kommt nun auch endlich mal eine Ortschaft mit einem kleinen Supermarkt. 


Hier fällt mir nun auch zum ersten Mal auf, dass es nur noch rote Holzhäuser gibt. 

Was für ein schöner Anblick auf der doch so trostlosen Strecke.


Bis Nås wird es nochmal ein wenig besser.. Zumindest das Landschaftsbild. 

Die Straße eher schlimmer. Ich erwische die E16.. Und alles mit E vorn dran sollte man einfach meiden. 


Da es keine Alternative gibt, muss ich durch.. 

Heute ist's eh schon egal.


Der Wind hat mittlerweile nochmal aufgefrischt, nur selten kommen kurze windgeschützte Abschnitte.. Nie länger als 400 - 500 m. 


Zum Glück gibt es immer wieder tolle Ausblicke auf den Västerdaläleven.. ein größeres Fluss, der zum Paddeln und Kanu fahren einlädt.

Am frühen Nachmittag erreiche ich nun endlich den Campingplatz.

Und auch dieser wieder klein, gemütlich, familiär... Ich fühle mich sofort wohl. 

Meine Hütte ist genauso urig wie die Rezeption. Auch der Betreiber wieder unheimlich freundlich und zuvorkommend. 

Am Nachmittag spaziere ich noch ein wenig durch Nås. Und auch hier befindet man sich gefühlt mitten in Klein - Bullerbü.


Leider macht der Wind immer noch keine Anstalten, sich mal zu beruhigen. 

Im Wald ist's besser, dafür herrscht dort die Invasion der Mücken.

Dann doch lieber wieder der Wind.


Am Abend kommt dann sogar nochmal eine Regenwolke. Umso glücklicher bin ich über meine trockene Hütte.




Und so findet man zum Glück auch an Kack-Tagen etwas, woran man sich am Ende noch erfreuen kann.. 



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Tag 18: Nås - Mora 


84,79 km

1369,40 km Gesamt 


Nachdem es gestern Abend noch 2-3 Schauer gab, startet der Tag zum Glück wieder mit einem tollen Sonnenaufgang. 

 


Mein Weg führt mich heute kurzentschlossen nach Mora.. 

Da ich nicht mehr weit entfernt bin und dort die Tradition des Vasalaufs Zuhause ist, ist ein Besuch einfach ein Muss. 


Eigentlich hatte ich mir gestern geschworen, Richtung Süden zu fahren, um den, wiedermal sehr böigen, Nordwestwind zu nutzen.


Naja.. nun fahre ich halt wieder nach oben. 

Hört ja keiner, wenn ich fluche.



Der Morgen ist auch heute wieder sehr frisch, schon beim Laufen hatte ich fast zu wenig an. 


Während in der ersten Woche die dünne Jacke gereicht hat, starte ich mittlerweile zusätzlich mit Ärmlingen. 

Dass das zu wenig ist, merke ich meist schon nach den ersten Kilometern und so bin ich auch heute wieder lange Zeit  mit zwei Jacken unterwegs. 




Bis kurz vor Järna bin ich nochmal auf der E16 unterwegs, dann zweige ich in Richtung Norden ab und bin allein... 


RICHTIG allein. 


Auf 30 Kilometern kommt weder ein Ort, noch ein Haus, noch eine Kuh oder ein Schaf.. Nichtmal Mülltonnen stehen am Straßenrand, die ein Indiz für Leben sind.. 


Nichts!!



Einfach nur ein Traum von Natur .. 



Anfangs hatte ich Bedenken über so große Distanzen ohne jegliche Zivilisation.. 

Aber diese Landschaft, diese Einsamkeit und die schier endlose Weite, lassen jeden Zweifel vergessen...

Ich hab selten solch beeindruckende Landstriche gesehen.



Dass es heute mit einer Sitzgelegenheit schwierig wird, ist mir bewusst und so halte ich immer wieder Ausschau nach einem Stein in der Sonne.. 

Es gibt viele.. mit dem Fahrrad jedoch nicht erreichbar. 




Nach mittlerweile wieder 35 Kilometern sehe ich auf dem Tacho einen See, danach zweigt eine Straße ab, der ich folgen muss.


Ich hoffe dort auf eine Gelegenheit und habe tatsächlich Glück. 




Ein tolles Shelter, mit Badesteg, traumhaftem Ausblick und sogar in der Sonne.

 

Kann es einen schöneren Platz zum Frühstücken geben? 


Ewig könnte ich hier sitzen und aufs Wasser schauen...



Als ich fertig bin, verdeckt zum Glück eine Wolke die Sonne. Durch den Wind wird's schnell kühl..


Das ist wohl das Zeichen zum Aufbrechen.


Die nächsten Kilometer fahre ich auf einem Waldweg.. Hier leben dann doch auch wiedermal einige Waldmenschen, zumindest treffe ich auf den Ein oder Anderen Briefkasten. 



Auf Höhe Siljansnäs ist die Ruhe und Einsamkeit dann leider vorbei. Ich wechsle auf die Straße nach Mora.. Dementsprechend mehr Verkehrs ist hier nun unterwegs. Dennoch hält es sich in Grenzen.


Immer wieder hab ich auf den Höhenzügen tolle Ausblicke über den Siljan, den wohl größten See der Gegend. 


Je näher ich an Mora komme, desto beeindruckender werden die Dörfer. 

Ein Haus schöner als das Andere, alle rot, alle aus Holz, alle liebevoll gepflegt .. 




Bisher hab ich tatsächlich geglaubt, Michl, Pippi und die Kinder von Bullerbü wurden in Småland gedreht.. Seit heute bezweifel ich das.. 



Am späteren Mittag erreiche ich die Stadt, im Wanderheim bin ich gefühlt der einzige Gast.. 


Aber klar.. 

Dieses Wochenende war der Bike-Vasaloppet. 

Alle Teilnehmer sind mittlerweile wieder weg... 




Bei einem Bummel durch die Stadt merkt man sofort, wie stolz die Einwohner auf ihren Lauf sind.. 

Überall geht es nur um den Vasaloppet.. 

Egal ob das Original im Winter mit Ski oder im Sommer als Lauf.. 

Hier lebt man diese Tradition. 



Ich würde lügen, wenn es mich bei all den Schildern, Markierungen und Wegweisern nicht reizt, hier einmal an der Startlinie zu stehen.

Weniger im Winter, dafür umso mehr im Sommer. 



Das Städtchen selbst hat ein gemütliches Zentrum und in der ein oder anderen Nebenstraße fühlt man sich inmitten eines dieser Museumsdörfer, die es in Schweden gibt.. 



Auf dem Weg zurück komme ich schließlich über den Campingplatz und erlebe wiedermal, wie furchtbar man auch in Schweden campen kann..


5 Sterne, 6 Waschhäuser, an jeder Kreuzung 20 Wegweiser.. 

Eine Nacht über 60 Euro. 


Das muss man schon mögen. 


Mit tollen Eindrücken spaziere ich zurück zum Wanderheim, der Kopf dabei schon in Planung, wie und wo ich morgen Dalarna noch ein wenig länger erleben kann. 

Hier möchte man einfach nicht mehr weg.


Ich habe mittlerweile einige Gegenden in Schweden gesehen.. 

Ich kenne Skane im Süden, Småland, ich war am Götakanal, an der Westküste und einige Zeit in Dalsland sowie auf Kalmar.. 

Aber keine Region hat mich bisher so sehr in seinen Bann gezogen, wie Dalarna.. 


Nur wer hier einmal gewesen ist, der kann wirklich  sagen: 


Ich war in Schweden 🇸🇪


Tag 19: Mora - Öje


82,18 km

1451,58 km Gesamt



So ruhig es am Nachmittag im Wanderheim war, so unruhig wurde es am Abend. 

Eine Familie mit Kind ist zu späterer Stunde ins Nachbarzimmer eingezogen. 

Da alles sehr hellhörig ist, waren sie gefühlt bei mir im Zimmer mit eingebucht.


Aber was ich am Abend aushalten musste, blüht ihnen am Morgen, so sind wir wieder quitt.




Mein Lauf führt mich heute auf die Originalstrecke vom Vasalauf - ein Muss, wenn man schon in Mora ist. 



Kilometer 1-4.. 

Danach weiß man Bescheid..

Vielleicht ist die Startlinie dann doch nicht so interessant. 




Mein heutiges Ziel ist Öje. 

Da der direkte Weg aber zu kurz ist, folge ich am Anfang noch ein wenig dem Siljansleden, durchquere anschließend nochmal Mora und fahre dann erst in Richtung Westen.



Da es zwischen Mora und Malung auf 70 km keine Verpflegungsmöglichkeit gibt, muss ich alles, was ich brauche, schon am Morgen mitnehmen. 

Für solche Fälle wären sie hier ja sogar gerüstet...



Alles muss man dann aber doch nicht testen.


Die heutige Wahl der Klamotten wird mit Handschuhen und der zweiten Jacke aufgerüstet, aus gestern habe ich gelernt.


Es ist gerade so zum Aushalten, die Füße werden aber lang nicht warm.

Der Wind ist kühl, wieder mal viel zu heftig für meinen Geschmack und die Sonne mag auch noch nicht so recht.

Mein erstes Bushaltestellen-Frühstück rückt näher.


10 Minuten reichen und es ist nur noch kalt. 

Ein Blick in den Himmel lässt aber ein wenig hoffen.. 

Der blaue Anteil wird größer.



Kurz nachdem ich weiter fahre, schafft sie es zum Glück hinter den Wolken hervor. 


Es hilft nichts..

Ich bleibe stehen und halte die Füße so lange in die Wärme, bis ich sie wieder spüre.




"Die Straße zwischen Mora und Öje kannst du schon fahren, da kommen auf 10 km maximal 5 Autos ", 

so kommen weise Worte aus Deutschland. 


Schon nach kurzer Zeit Frage ich mich, wann das gewesen sein soll.. 

Nachts um halb 2?


Ein Auto nach dem Anderen fährt an mir vorbei, ebenso viele LKWs. Manche rücksichtsvoll und vorsichtig, andere viel zu schnell und zu nah an mir dran. 


Wiedermal bestätigt sich mein Eindruck. 

Auf den Nebenstraßen würden sie ihr Auto am liebsten an einem vorbei tragen damit nichts passiert, auf den Bundesstraßen sind eher die Idioten unterwegs. 


Der Wind natürlich auch heute wieder frontal von vorn. Mit 20-30 kmh einfach nur zum ***. 




In Kälbo baue ich eine kleine Schleife um den dortigen See ein. 

Es geht einige Kilometer Richtung Süden.. 

Was für ein Genuss. 

Kaum Autos , noch weniger Wind..


Dass ich das alles auf der anderen Seite wieder nach oben muss, verdränge ich erstmal.


Zu schön ist die Landschaft.

Hier ist wieder die Zeit stehen geblieben.. 



Leider muss ich weiter, mein Ziel ist ein Anderes.


Kurz darauf bin ich zurück.. "Dreamroute E45". 

13 Kilometer noch, dann ist es für heute erstmal vorbei. 


Ab morgen entscheidet nur noch der Wind, wohin es geht. 





Öje selbst ist nur ein kleiner Ort .. lediglich knapp 200 Einwohner. 



Dennoch komme ich wieder auf 10 Spazierkilometer. Meine Zeit am Nachmittag um runter zu kommen.




Der traumhaft gelegene Badeplatz auf der anderen Seite der Straße entschädigt für den Vormittag. 

Fast zwei Stunden sitze ich in der Sonne und genieße den Dalarna-Traum.

 


Währenddessen frage ich Matthew in Göteborg, ob er mich nicht einfach heiraten und in ein kleines rotes Schwedenhaus nach Dalarna ziehen möchte. 

Wenn ich nächste Woche noch bisschen Überzeugungsarbeit leiste, vielleicht willigt er dann ein 🤪





Im Wanderheim bin ich währenddessen nicht mehr allein. 

Zwei junge Schweden auf Montage...


Damit sie nicht verhungern, hat Mama Zuhause vorgekocht.



Ein wenig ärgere ich mich, dass ich nicht schon früher den Mut hatte, in den Norden zu fahren.. 

Wie gern würde ich noch weiter durch diese Gegend radeln, aber die fest gebuchte Fähre Ende nächster Woche lässt leider keine großen Experimente zu .. 


Dennoch steht eins fest.. 

Dalarna wird mich wieder sehen..



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Tag 20: Öje - Vansbro 


86,99 km

1538,57 km Gesamt 


Der Morgen startet kalt.. richtig kalt. 

5G rad zeigt das Thermometer.


Hallo ? Schwedischer Sommer?


Und damit ist es soweit.. ich laufe mit langer Hose und Handschuhen.

 Darf man das überhaupt erzählen?


Viel gibt die Streckenwahl nicht her, deshalb wage ich es und laufe den Weg in den Wald. 

Der Wunsch nach einem Elch ist größer als die Angst vorm Bär.




Am Ende zeigt sich beides nicht, schön war's trotzdem, warm bin ich nun auch.



Ein bisschen Sorge bereitet mir die Temperatur dennoch, sonst hatte ich immer 6 Grad mehr und es war grenzwertig.

Später starten möchte ich jedoch nicht, je früher ich loskomme, desto weniger Verkehr ist auf der Bundesstraße.


In wenig guter Erinnerung an gestern, fahre ich nun härtere Geschütze auf, was die Klamottenwahl betrifft. 


Unterhemd, Radshirt, Ärmlinge, Jacke 1, Jacke 2, Überziehschuhe, Handschuhe...

Mehr gibt der Inhalt der Taschen nicht her. 


E45.. ich bin dann mal bereit. 


Vom Wanderheim könnte ich nun gleich auf die große Straße abbiegen, ich wähle aber lieber noch eine Runde durchs Dorf, mit Berg, zum Warm werden.


18 Kilometer sind es bis Malung. 

Verkehr ist dennoch, allerdings deutlich weniger als gestern Mittag.


Kilometer für Kilometer komme ich gut voran.

Wie schön das doch geht, so fast ohne Wind.


Er tut mir übrigens heute den großen Gefallen und wechselt mit mir die Himmelsrichtung. Statt Nordwind, gibt's heute zur Abwechslung mal Südwind.. Aber ich fahre ja nun auch in den Süden und nicht mehr in den Norden. 


4,  7, 12 Kilometer.. ich bin tatsächlich noch warm.

 

Na bitte, es geht doch. 


Kurz vor Malung werden die Füße und Fingerspitzen leider doch ein wenig kalt, aber da ich mir sowieso was fürs Frühstück kaufen muss, ist der Supermarkt eine gute Möglichkeit um wieder etwas Wärme zu speichern.


Da ich nicht weiß, wie sich die Strecke entwickelt und die Sonne zaghaft raus kommt, fahre ich nur bis zum Ortsausgang und nehme die erstbeste Bank.


Ans Ausziehen denke ich nicht, an die Daunenjacke aber auch nicht. 

Es ist erträglich.


Weiter geht's und bei Yttermalung wechsle ich auf die andere Seite des Flusses . 

Was nun folgt, ist wieder der absolute Dalarna - Traum...


Eine tolle kleine Straße, keinerlei Autos, kein Mensch, kein Haus... 

Nichts. 

Kilometerweit. 

Die Straße schlängelt sich im Auf und Ab durch die Landschaft. 

Lange Zeit geht es so weiter ...


 Lediglich ein paar Stopps, im Abstand von ungefähr 5 Kilometer, in denen ich Schicht für Schicht ausziehe, ansonsten stört nichts den heutigen Tag..


Ein paar wenige Kilometer vor Äppelbo erscheinen nun zum ersten Mal wieder 10 Briefkästen an der Kreuzung zur Straße.

Es gibt wieder Menschen. 


Das ist übrigens die perfekte Erziehungsmaßnahme für schwedische Kinder.. 

Wer nicht hört, muss den Müll wegbringen. 

Zu Fuß..

5 km hin, 5 km zurück. 


Kurz vor Vansbro muss ich nochmal auf die E16, aber nur für 8 Kilometer.

Überschaubar.


Mitten am Fluss kann ich heute die Nacht bei Nicole verbringen. 


Ich nutze die Gelegenheit um Wäsche zu waschen. Eigentlich kein großer Akt...in Schweden allerdings manchmal schon. 


Der Grund, warum sie sich nicht einschalten lässt, ist schnell gefunden - Stecker gezogen.

 

Anschließend einmal ein Rundumblick durchs Bad..


 Vergeblich.


 Keine Steckdose. 

Ein zweiter, sorgfältigigerer Rundumblick.. 


 Nein , da ist definitiv nichts. 


Am Ende muss ich wieder mal improvisieren. 

Mit zwei Verlängerungskabeln, die ich finde, schließe ich die Waschmaschine schließlich im Wohnzimmer an.

Ein Profi war da nicht am Werk. 



Zu Fuß mache ich mich am Nachmittag auf den Weg ins nahegelegene Naturreservat.

Vorbei am Badeplatz führt ein Rundweg um den See. 

Die Badestelle selber ungewöhnlich voll. 

Zu voll für meinen Geschmack.


Keine 500 m weiter führt ein Pfad direkt am Ufer entlang. 

Keine Menschenseele ist unterwegs.


Sofort sticht mir ein toller Badesteg ins Auge. 

Wiedermal ein wundervoller Ort, zum Abschalten, zum Runterkommen, zum Sonne genießen.


Je länger ich in der Sonne sitzen desto wärmer wird mir.


Und dann ist es soweit. 

Nach über 2 Wochen wage ich es ein zweites Mal, und springe in den See. 


Nichts hab ich dabei, aber hier braucht man auch nichts... 


Eine große Runde wird es nicht, muss es aber auch nicht. 

Ich war im See und das zählt. 


Noch lange sitze ich am Steg und lasse die Füße ins Wasser baumeln. 


Ich habe zwar noch 1 1/2 Wochen, aber morgen heißt es Abschied nehmen von dieser traumhaften Gegend.

Es geht weiter südwärts.. und damit verlasse ich das wunderschöne Dalarna...

Es schwingt sehr viel Wehmut und ein schweres Herz mit..


So unbeschwert und frei hab ich mich an keinem anderen Ort auf dieser Reise gefühlt... 


Die Gedanken waren einfach tagelang nirgends.. Weder in der Vergangenheit noch in der Zukunft .. 

In jeden Tag bin ich völlig unbeschwert gestartet und hab ihn genauso zufrieden und mit mir im Reinen beendet.. 


Wie gern würde ich diese völlige Ruhe und Abgeschiedenheit mitnehmen.. 

Dieses Gefühl einpacken und immer wieder hervor holen, wenn ich es brauche.


Diese gefürchte Einsamkeit in dieser dünn besiedelten Gegend war genau das, was ich gebraucht hab, weil es diese Einsamkeit zu keinem einzigen Zeitpunkt wirklich gab..


Dass ich hier nicht eine Minute allein unterwegs war, weiß ich.. ganz tief in mir drin.. 

Mag es unsinniger Glaube sein oder nicht. 

Das ist vollkommen egal. 


Es ging mir hier jeden Tag einfach nur unglaublich gut.. 


Mögen andere denken was sie wollen.. 

Aber manchmal ist es nur noch der Glaube, den man hat .. 


Und einzig und allein das ist es, was zählt.




" Glauben heißt, zuversichtlich vertrauen auf das, was man hofft, und fest überzeugt sein von Dingen, die man nicht sieht ... "


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Tag 20: Vansbro - Filipstad

 

103,37 km

1641,94 km Gesamt 


Wiedermal viel zu spät hab ich gestern Abend erfahren, dass es in der vergangenen Nacht wohl tolle Nordlichter zu sehen gab... 


Da ich auf eine zweite Chance hoffe, stelle ich mir einen Wecker auf Mitternacht.


Leider schlafe ich nicht gut, sodass der Wecker gegen 12 gar nicht so sehr ins Gewicht fällt.

Zu sehen gibt es allerdings nichts, außer paar vereinzelte Wolken.


Zu meiner üblichen Uhrzeit werde ich wach, trotz zu wenig Schlaf. 

Draußen zum Glück 5 Grad mehr als gestern. Da macht das Laufen gleich wieder viel mehr Spaß.




Für mich geht es heute 100 km schnurgerade in den Süden, bis Filipstad.


Es hilft nichts, ich muss die Fähre im Auge behalten, so schwer es mir auch fällt.


Der Wind? 

Immer aus der Richtung, in die ich fahre. 

Heute noch mäßig, die nächsten Tage wieder mit Böen bis 40 kmh. 

Wer sich keinen Regen wünscht, bekommt dafür den Wind. 

Hab ich mittlerweile schon verstanden.



Schon nach kurzer Zeit sorgt ein langer Berg dafür, dass ich nicht friere. Die Steigung jedoch lang gezogen und super angenehm zum Fahren.


Auf über 400 Höhenmeter geht es hinauf, oben wieder kaum ein Haus.. Und wenn mal eins kommt, schmiegt es sich perfekt in die Landschaft ein. Einfach toll anzusehen...



Nach 40 Kilometer erscheint das Schild, das ich eigentlich gar nicht sehen will..


Dalarna durchgestrichen. 


Das war sie nun, meine Zeit in der Region der weltbekannten bunten Holzpferde.


Die Strecke führt mich heute bisher über eine größere Straße, auf der jedoch nicht so viel Verkehr ist, wie auf den E-Straßen. 


Leider gibt es hier wieder keine Picknickplätze. 

Erst kurz nachdem ich mich wieder in Värmland befindet, kommt ein Badeplatz.


Wobei das der falsche Begriff ist.

Da dort das "Camping Forbjuden Schild" fehlt, ist es ein halber Campingplatz. Es gibt eine Sitzgruppe, 1 Meter neben einem Ehepaar eines schwedischen Wohnmobil.

Ich hab mich schon mal wohler gefühlt.


Dafür ist der Ausblick schön.



46 Kilometer noch bis Filipstad.


Kaum bin ich wieder auf der Straße, tauchen vor mir zwei Bikepacker auf. 


Ich komme näher und es ist tatsächlich ein älteres Ehepaar. 

Große Freude und ein überschwängliches Grüßen auf beiden Seiten, mit Gleichgesinnten hätte wohl keiner von uns gerechnet...




Es dauert nicht lang, dann ist die Sonne weg, am Horizont verdächtig dunkle Wolken.


Überflüssiger Regenradar - Check: Nichts.


Kann man's glauben?

Ich tu's nicht. 


Dadurch kommt ein wenig Unruhe auf, die Regensachen sind ganz unten im Packsack.


Mittlerweile befinde ich mich wieder auf einem Waldweg, der sich aber gut fahren lässt.


Der Tacho zeigt in nicht allzu weiter Entfernung nochmal einen Berg, mit einer steilen Rampe gleich am Anfang..


Was für ein Scheiß...


Ich halte kurz an und schau auf Komoot, was mich erwartet.. 


Moment.. der Weg teilt sich vorher und geht einige Zeit später wieder zusammen. 

Was passiert, wenn ich rechts und nicht links fahre?


Ich plane kurz um und schon ist der Berg weg..


Wenn's nur immer so einfach ginge.


Erleichtert fahre ich rechts weiter, auf nochmal fast 100 Höhenmeter hab ich grad keine Lust, die Wolken sitzen im Nacken.


Was mir immer wieder auffällt, aus jedem der abgelegenen und einsamen Häuser bellt ein Hund, meist noch mit einem Hinweis auf Videoüberwachung.


Wenn man hier doch vor nichts und niemand Angst haben muss.. wozu brauche man dann Wachhund und Kamera?




Bei Normark erreiche ich nun wieder eine asphaltierte Straße.. 

Aktuell wird hier gerade gebaut, für den Verkehr ist sie einseitig trotzdem frei..

Leider erwische ich genau den Tag, an dem sie asphaltieren.


Ampeln gibt's hier oft nicht, der Verkehr wird per Hand geregelt.


Das ich mit Fahrrad mehr Zeit bis ans andere Ende der Baustelle brauche, bedenkt hier natürlich keiner.


Und wie soll es anders sein? In der Mitte kommt mir der Verkehr der anderen Richtung entgegen.

Sie fühlen sich obendrein im Recht sodass ich 1-2 x auf den frischen Asphalt ausweichen muss. 


Dass ich von diesen Ausweichmanöver noch länger etwas haben werde, weiß ich zu dem Zeitpunkt noch nichts. 




10 Kilometer noch, die Baustelle hab ich überstanden, für heute reicht's. 

Ich bin froh, wenn ich in Filipstad bin, bisher ist's auch noch trocken, auch wenn der ein oder andere Tropfen schon vom Himmel kam.


Ich werfe nochmal einen Blick aufs Radar.. 

Und lerne wieder etwas dazu.

Neuerdings erscheinen die Regenwolken erst, wenn sie schon vorbei sind. 

Aber es muss ja spannend bleiben, passiert ja eh sonst nichts dieses Jahr.




In Filipstad bekomme ich auf dem Campingplatz eine kleine Hütte. Hatte ich schon mehrmals, kenne ich. 


Der Betreiber ein Deutscher, aus dem Rheinland. Er kennt sogar das Vogtland. 


An der Rezeption klärt er mich dann auf, es gibt innen nur ein Bett, keinen Strom, keine Heizung  und auch sonst nichts. 

Etwas verwundert schaue ich ihn an, aber er hätte mir es in der Email mitgeteilt.


Hat er das?

Das wüsste ich und streite ab. 


Bei einem Blick auf den Zettel unseres Emailverkehr kann er zwar nichts finden, er behauptet aber dennoch, er hat's erwähnt.


Bevor ich hier noch ewig stehe , gebe ich ihm einfach Recht. Strom gibt's dann heute Nacht eben über den Powerbank.


Hütte Nummer 11 ist meine. 

Und tatsächlich, so klein hatte ich es bisher noch nicht.


Ich lade meine Taschen ab, ziehe mich um und mache mich auf den Weg in die Küche.


" Ich hab immer Recht. Ich habe nochmal recherchiert und ich habe eben immer Recht..", höre ich es nur hinter mir.


Hä? Meint der jetzt mich?


Ich dreh mich um, in der Hand hat er ein Zettel, dick und fett mit Textmarker beschmiert.


" Hier hab ich es Ihnen mitgeteilt, kein Strom, keine Heizung..".


Ich schaue in ein strahlendes und zufriedenes Gesicht, lächle nur und lasse ihm seinen Erfolg.

Das ist mir dann doch zu viel Deutsch im schönen Schweden. 


Die schwedische Mentalität färbt eben leider nicht auf jeden ab.


Mein Spaziergang am Nachmittag durch Filipstad ist nach dem tollen Nachmittag gestern im Naturreservat enttäuschend.

Lediglich ein kleiner Park ist ein wenig schön.


Schnell bin ich aus dem Zentrum wieder raus und versuche mein Glück am Badeplatz, etwas oberhalb vom Campingplatz. 


Aber auch hier suche ich vergeblich die Ruhe, in der Nähe von Ortschaften belagern eben südeuropäische Immigrantenfamilien die Wiesen.


Dennoch, für eine Stunde ist's okay, auch ohne Sonne und mit Hoffnung auf morgen, spaziere ich zurück zum Campingplatz.


Vielleicht weiß ich bis dahin auch, wie man Teerspritzer wieder von Haut und Fahrrad bekommt 🙄