~ Bei Begegnungen ist es bereichernd, nicht nur den anderen kennenzulernen, sondern auch sich sich selbst. ~
Tag 19: Marielund - Oxelösund
86,17 km
Gesamt: 1698,2 km
Ich schlafe diese Nacht wieder besser, allerdings fühle ich mich immer noch nicht richtig gut. Schlapp, müde. Vielleicht zerrt das ständige schlechte Wetter , die Kälte und das tägliche Radeln doch mehr Energie, als ich geglaubt habe. Da mein Ziel für heute schon feststeht, werde ich allerdings die 83 Kilometer fahren müssen. Ich hoffe auf guten Wind.
Als ich starte, ist es sogar mal trocken, aber kühl. 23 Kilometer sind es bis Gnesta, dann hab ich einen Supermarkt. Schon nach kurzer Zeit ist die Sonne wieder weg. Aber kein Regen. Man wird ja bescheiden.
In Gnesta besorge ich mir Frühstück. Da ich nicht wieder ewig eine Bank suchen möchte, bleibe ich gleich auf einer Sitzgelegenheit vorm Supermarkt. Anscheinend frühstückt da selten jemand, so wie alle schauen. Nach kurzer Zeit geht eine etwas fülligere Frau an mir vorbei, irgendwas sagt sie zu mir auf schwedisch. Ich nicke ihr nur zu und esse weiter. Nach 10 Minuten kommt sie zurück, in der Hand eine große Papiertüte, die man für diese Süßigkeitenbuffets bekommt. Dann setzt sie sich neben mich.. Bitte nicht, ich mag jetzt keine Konversation. Sie hält mir ihre Tüte hin und bietet mir ihr "Frühstück" an. Nein , danke. Nicht ganz unglücklich über mein Ablehnen vertilgt sie ihre Nüsse . Vom Geräusch her würde ich sagen mitsamt Schale. Ich hab das Gefühl, ich sitze in einem Hasenstall. Zum Glück bin ich fertig und kann mich verabschieden.
Noch 50 Kilometer bis Nyköping, 60 bis zu meinem heutigen Ziel. Der Wind kommt von vorn, es fallen auch wieder paar Tropfen. Aber diesmal war ich schlauer und bin, trotz freundlichem Himmel am Morgen, regenfest gestartet . Die Strecke heute ist zwar schöner als gestern, trotzdem nicht sonderlich spannend. Und so ziehen sich die Kilometer. Unterwegs überkommen mich immer wieder Momente der Müdigkeit, wie ich es sonst nur beim Autofahren kenne. Ob es Sekundenschlaf auch am Rad gibt?
Kurz vor Nyköping kommt dann tatsächlich die Sonne raus. Schnell mache ich ein Foto, glaubt ja sonst keiner.
In Nyköping ein kurzer Stopp im Supermarkt, dann möchte ich ins Zentrum schauen. Aber auch hier wieder nichts Besonderes. Eben diese typischen , schwedischen Städte, die zwar Arbeitsplätze bieten aber sonst nicht sehenswert sind. Aber ich will ja eh bis Oxelösund. Die Bilder vorab waren vielversprechend.
Am Tag vorher habe ich eine Unterkunft über Airbnb gefunden. 25 Euro, so viel hätte ich auch für den Campingplatz gezahlt. Und da ich kein Vertrauen mehr in die Wettervorhersage habe, nehme ich lieber das Zimmer. Ich komme eine halbe Stunde früher als angekündigt an, was aber kein Problem ist. Die Vermieterin zeigt mir mein Zimmer, Küche kann ich benutzen und alle anderen Räume auch. Ich frage nach, ob ich denn der einzige Gast bin. Sie nickt. Oh...
Keine Angst, die Nachbarschaft ist ganz lieb.
Ah ja, na dann...
Sie erklärt mir, dass sie eigentlich hier lebt, wenn aber Gäste kommen , zieht sie aus. Sowas gibt's auch nur in Schweden. Im Keller finde ich ein Cello und eine Trompete, im Wohnzimmer ein Klavier, im Büro eine Gitarre, im Nebenraum einen Computer. Langweilig wird's heute Abend nicht. Dennoch hätte sie gern bleiben dürfen. Ganz allein in dem Haus lässt den Wohlfühlfaktor nicht ganz so ansteigen wie bisher.
Ich lade kurz mein Gepäck ab und fahre in die Stadt, auf der Suche nach den schönen Hotspots der Fotos. Vergeblich. Das Zentrum einfach nur schlicht, dahinter Industriehafen. Oh man, dabei hab ich mich auf eine schöne kleine Hafenstadt gefreut. Ein Wegweiser führt zu einem Gästehafen und einem Naturreservat. Das klingt schon besser. Der Weg geht ein wenig durch den Wald, danach hat man einen Blick in Richtung Zentrum... Wieder nur Industrie. Nach der nächsten Kurve erreiche ich den Gästehafen. Auch nicht schön, aber immerhin ein bisschen weniger hässlich.
Ein paar Meter weiter eine Räucherei, daneben ein Eisverkaufsstand. Wenigstens etwas, die haben sicher einen Cappuccino. Ich schaue auf die Karte, 39 Kronen. Naja, da zahlt man halt den "schönen" Ausblick, wie überall. Ein Cappuccino bitte. Die Verkäuferin antwortet irgendwas auf schwedisch. Auf Englisch bitte.
Kaffee mit Milch haben wir.
Okay... Ich hätte aber gern einen Cappuccino. Cappuccino haben wir nicht.
Es steht doch aber auf eurer Karte.
Ich weiß.
Dann hätte ich gern einen Cappuccino.
Ich weiß nicht, wie ein Cappuccino geht...
Echt jetzt?
Ich gebe auf und fahre weiter. Dann eben kein Cappuccino.
Dafür taucht ein paar hundert Meter weiter doch noch ein schöner Platz auf, mit tollen Liegeflächen und sogar einer Hollywoodschaukel. Da sich die Sonne mittlerweile durchgekämpft hat, bleibe ich und fülle meinen Vitamin D - Speicher. Vielleicht bringt das auch ein wenig Energie zurück. Hin und wieder fährt sogar ein deutsches Wohnmobil auf den Parkplatz. Wie beruhigend, die haben auch geglaubt, hier ist es schön.
Aber morgen geht's nach Söderköping. Nochmal ein wenig Götakanal genießen. Da kann nichts schief gehen..
Auf dem Rückweg halte ich noch kurz am Supermarkt fürs Abendessen. Mein Rad sperre ich ab, Schlüssel in die Tasche, Rucksack und Geldbeutel... Alles dabei. Schon seit Beginn hab ich die Befürchtung, dass ich den Fahrradschlüssel mal verliere, so klein wie er ist. Nachdem ich alles besorgt und verstaut hab, greife ich in der Tasche nach dem Schlüssel... Nichts. Rechte Jackentasche, linke Jackentasche, rechte Pullovertasche, linke Pullovertasche, Hostentasche... Mist. Das wäre jetzt wohl der befürchtete Moment. Ich hole den zweiten Schlüssel aus dem Geldbeutel, doch aufsperren kann ich mein Rad dennoch nicht.
Damit es derjenige, der mein Fahrrad haben will, nicht so schwer hat, hab ich ihm den Schlüssel nämlich gleich stecken lassen.
Ich sollte mehr schlafen.
Am Abend finde ich am Ufer den wohl bisher schönsten Fleck der ganzen Reise. Auf den Felsen hat man einen wunderschöner Blick über das Wasser und auf die gegenüberliegenden Inseln... Mit Sonne im Gesicht.
Dann sammeln wir sie mal... Die neuen Erinnerungen...
Das ich nach meinem Sonnenbad den Haustürschlüssel auf dem Felsen hab liegenlassen und es erst nach 500 m gemerkt hab, gehört auch hier rein oder?
Ich gehe dann mal ins Bett. Vielleicht wird morgen dann alles besser... 🥴
Tag 20: Oxelösund - Norrköping
82,9 km
Gesamt: 1781,1 km
Die Nacht allein im Haus hab ich einigermaßen gut überstanden 🫣
Mittlerweile hat sich das Wetter so weit verbessert, dass sich die Sonne zumindest am Morgen für eine Stunde zeigt.
Ich packe in Ruhe meine Sachen und da ich mich am Abend vorher schon fürs Frühstück eingedeckt hab, kann ich starten ohne das ich einen Supermarkt auf der Strecke brauche.
Schnell bin ich aus Oxelösund raus. Nach wenigen Kilometern werde ich für die letzten zwei Tage entschädigt. Der Kustlinjenleden führt über kleine asphaltierte Straßen, die sich abwechslungsreich durch die Landschaft schlängeln. Immer wieder Kühe, Pferde, kleine Gehöfte und rote Holzhäuser. Die Höhenmeter sind gut zu bewältigen, da die Steigungen nie lang und steil sind. Immer wieder hat man einen wunderschönen Blick aufs Wasser. Auch der Wind hält sich noch zurück. So macht das Radeln wieder Spaß.
In Koppatorp wittere ich meine Chance auf eine Frühstücksbank und habe Glück. Gegenüber vom Friedhof gibt es tatsächlich eine Sitzgelegenheit.
Die Sonne ist leider schon wieder weg und dunkle Wolken ziehen auf. Schon nach wenigen Minuten ist es einfach wieder nur kalt.
Ich schaue, dass ich weiter komme um wieder warm zu werden. Für einige Kilometer hole ich sogar die Handschuhe wieder hervor.
Ich erreiche Näkevarn...ein niedlicher kleiner Ort am Wasser. Sogar mit Campingplatz. Ich hoffe, dass ich die nächsten Tage noch solch schönen Plätze finden werde. Die dunkle Gewitterwolke hat mich zum Glück verschont und nun versucht es auch die Sonne mal wieder.
Bis Kvarsebo bin ich dann auch wieder warm. Nur 10 Minuten muss ich auf die Fähre warten. In Schweden werden diese Fähren staatlich finanziert und sind dadurch kostenlos. Ich mache ein Foto , als mich ein Schwede anspricht. Ich verstehe dich zwar nicht aber ich denke, du willst ein Foto von mir machen, sage ich zu ihm. Er nickt, lacht und es entsteht eines der wenigen Fotos von mir auf dieser Reise.
Dann ist die Fähre auch schon da.
Auf der andere Seite geht der Radweg leider nicht mehr so schön weiter. Ich lande wieder auf einer etwas größeren Straße aber im Vergleich zu vorgestern immer noch gut zu fahren. Mit Wind von vorn und der Seite geht es allerdings nicht mehr so locker , wie heute Morgen.
Dafür hab ich einen blinden Passagier. Hoffentich mein kleiner persönlicher Glücksbringer für meine Wünsche.
Noch 30 Kilometer habe ich bis Norrköping. Ursprünglich war Soderköping mein Ziel, aber in Norrköping werde ich Rebecca ansteuern. Eine Deutsche, die mit ihren 3 Kindern in Schweden lebt. Das macht mich neugierig. Außerdem sind in der Nacht wieder 5-10 l Regen pro Stunde angesagt. Von Norrköping kann ich morgen immer noch schön am Götakanal wieder Richtung Meer radeln. Dann hoffentlich wieder mit Campingplatz (Gebet an den Wettergott 🙏)
Da ich schon 12:30 Uhr in der Stadt ankomme, Rebecca aber erst eine Stunde später Zuhause ist, gönne ich mir einen Cappuccino. Hier wissen sie wenigstens, wie man ihn macht.
Nicht weit vom Zentrum entfernt liegt Rebeccas Wohnung. Auch in einem der typischen Wohnblocks mit vielen Parteien. An der Tür wieder diese Klingeln mit Zahlencode. Diesmal allerdings ohne Display, welches in Västerås die Namen der Bewohner angezeigt hat. Heute muss ich mich geschlagen geben. Ich schreibe ihr kurz, dass ich da bin.
Nach einer herzlichen Begrüßung erklärt sie mir kurz das System. Es ist wohl Standard in Schweden. Klingeln kann man nur, wenn man den Zahlencode weiß.
Paketdienstfahrer möchte ich da nicht sein.
Den Nachmittag nutze ich, um mich in Norrköping ein wenig umzuschauen. Es ist wiedermal eine Industriestadt, allerdings hat sie Charme. Alte Fabrikgebäude wurden restauriert und zu Wohnungen oder Bürogebäuden umgebaut. Leben möchte ich hier nicht und auch sonst gibt es nicht viel zu sehen, aber die Stadt hat was. Einen weiteren Pluspunkt bekommt Norrköping für den Regen. Der ist hier immerhin warm.
Ich habe jetzt drei oder vier größere Städte gesehen. Genug für diesen Urlaub. Ab morgen werden nur noch kleine und beschauliche Ortschaften angesteuert.
Später sitzen Rebecca und ich noch lang zusammen. Es ist interessant, Schweden aus der Sicht einer ausgewanderten Deutschen kennenzulernen. In Hamburg hat sie Skandinavistik studiert und ist anschließend nach Schweden gegangen. Was man nicht alles studieren kann.
Erstaunt bin ich über das System auf dem Wohnungsmarkt. Es gibt in Schweden keinen privaten Markt, es läuft alles über eine Art Wohnungsgesellschaft. Dort registriert man sich, kommt auf eine Warteliste und diese wird von oben her abgearbeitet. Das ist ja gar keine so schlechte Lösung, denke ich mir. Wie lang wartet man da im Schnitt, frage ich sie? Wenn du Pech hast, 5,6,7 Jahre ...
Okay... in Schweden ist vielleicht doch nicht alles besser.
Danach werde die Gespräche privater. Sie erzählt mir von ihrer Familie, von ihrer Trennung, von einigen Problemen..
Wir kennen uns keine vier Stunden aber am Ende weiß ich ihre halbe Lebensgeschichte.
Immer wieder bin ich erstaunt, dass es sich bei diesen Begegnungen auf meiner Reise innerhalb kürzester Zeit immer wieder so anfühlt, als kenne man sich schon eine Ewigkeit...
Tag 21: Norrköping - Ljungsbro
83,8 km
Gesamt: 1864,9 km
Am Morgen bin ich wiedermal heilfroh, ein Dach über dem Kopf zu haben. Regen seit Mitternacht bis in die frühen Morgenstunden.
In einer schlaflosen Stunde, irgendwann gegen 2 , habe ich meine ursprüngliche Route für heute nach hinten verschoben. Stattdessen möchte ich noch ein wenig am Götakanal radeln. Von Norrköping bis Ljungsbro, dort ist auch die berühmte Schleusentreppe und morgen dann zurück in Richtung Ostküste, mit einem Stopp in Soderköping. Ich plane die Route um und bekomme danach sogar noch 2-3 Stunden Schlaf.
Was für eine Schnapsidee, wie sich später noch herausstellt.
Rebecca versorgt mich am Morgen mit einem Kaffee, dann darf ich mich in ihr Warmshowers Gästebuch eintragen. Eine schöne Idee , die ich mir merke.
Ich erzähle ihre von meinen Plänen für heute.
Oh, die Franzosen vor paar Tagen haben gesagt, um den Roxen kommt man nicht rum. Sie mussten einen großen Umweg fahren.
Ich schaue in Komoot, dort ist ein Radweg eingezeichnet. Vor zwei Wochen habe ich mir die Premium-Version der App gekauft und dort sind alle Radwege farblich und mit Namen gekennzeichnet, vom Dorfrundweg bis zu den Euro Velo - Routen. Ganz eindeutig führt einer nördlich am See vorbei. Ich riskiere es, zur Not werden es einige Kilometer mehr.
Der Regen hat zum Glück aufgehört und schon beim Supermarkt ,drei Kilometer weiter ,sehe ich blauen Himmel. Frühstück gibt es heute am Götakanal. Endlich mal bei schöneren Wetter, denke ich mir noch. 7 Kilometer habe ich vor mir, bis ich den Kanal erreiche. Als ich dort bin, ist die Sonne wieder weg und auch der Wind weht recht stark. Das war wohl nix, mit dem sonnigen Frühstück.
Nach einigen Kilometern am Kanal bereue ich meine Entscheidung von heute Nacht bereits. Der Wind bläst direkt von vorn. Das wird kein Spaß. Hätte ich mal lieber geschlafen.
Überall am Rand stehen an diesem Morgen alte Männer und angeln. Einer grimmiger als der andere. Ob's am Wetter liegt? Ich grüße trotzdem jeden, auch wenn keiner etwas erwidert.
In Snövelstorp erreicht man bereits den ersten kleinen See. Der Weg führt nördlich vorbei, sogar mit Wegweisern mit der Aufschrift " Längs Götakanal", was für die Umfahrungen der Seen steht. Es geht mehrere steile Rampen hoch und wieder runter, mit Gepäck einfach nur anstrengend. Nach 5 Kilometern dann ein Schild, Götakanal Radfahrer dürfen hier nicht weiter, man soll zurück nach Snövelstrop und die Fahrradfähre über den See nehmen. Privatweg. Hab ich im Ort etwa ein Schild übersehen? Aber da standen ganz eindeutig Radwegschilder.
Die ganzen Rampen nochmal? Sicher nicht. Der Tacho zeigt einen kleinen Weg durch den Wald. Komme was wolle, zurück fahre ich nicht. Ein kleiner Weg ist es am Ende tatsächlich, oder vielmehr ein Pfad. Als Trailrunning-Strecke ein Traum, mit Gepäck und Fahrrad eher ein Alptraum. Überall Wurzeln, Steine, es ist nass und rutschig. Dafür wächst überall mein potentielles Abendessen. Pilze und Beeren wo man nur hinschaut.
Nach knapp einem Kilometer erreiche ich endlich wieder einen Weg. Keinen schönen aber besser als schieben. Doch auch dieser Weg ist schnell einfach nur furchtbar. Überall grob geschottert, ich rutsche ständig weg. Kurz darauf steht erneut dieses Sperrschild für die Radfahrer. Diesmal für diejenigen , die aus der anderen Richtung kommen. Auch hier wieder mitten im Wald.
Ich fahre weiter und entdecke Radwegschilder für die Umfahrungen in die entgegengesetzte Richtung. Also egal von wo man kommt, die Wegweiser führen auf diesen Weg an deren Ende es nicht weiter geht..Warum lässt man die Leute 4-5 Kilometer in dem Glauben, man befindet sich auf der richtigen Strecke, um sie dann mitten im Wald zurückzuschicken?
Ich frage mich, hinter welchem Baum wohl jemand sitzt, der bei jedem der darauf reinfällt einen weiteren Strich auf seiner Liste macht...
Irgendwann erreiche ich den Kanal wieder und kämpfe erneut mit dem Wind. So hab ich mir das nicht vorgestellt. Noch 8 Kilometer bis Norsholm. Dort führt der Götakanal in den Roxen und es gibt eine erneute Umfahrung, die besagte der Franzosen.
Ich fahre in die Ortschaft und der Wegweiser zeigt tatsächlich nach links, meine Route nach rechts. Übrigens mal wieder ein Hupe. Ich bin zu langsam über den Fußgängerüberweg.
Ich schaue kurz Richtung Wasser und sehe noch das Heck eines größeren Schiffes... Ist das die Juno? Tatsächlich. So ein Mist, paar Minuten früher wenn ich gewesen wäre. Ab dem Zeitpunkt ist es mit der Ruhe vorbei. Das sollte ich doch schaffen, die fährt so langsam, ich bin vor ihr in Berg.
Leider kommen nun auch die Höhenmeter. Mit dem Wind von vorn wird's nicht leichter. 20 Minuten später erhasche ich einen Blick auf den See... Die Juno mir bereits voraus. Bin ich so langsam oder fährt sie schneller als ihre 9 Knoten?
Ich erinnere mich an die Reisedoku über den Götakanal und werde ruhiger. Spätestens in Berg ist sie sowieso für 1-2 Stunden in der Schleusentreppe gefangen. Ich kann mir Zeit lassen.
Etwas weiter der lang ersehnte Hinweis zu einem Café. Ich halte an, Selbstbedienung.
Ich hätte gern einen Cappuccino.
Tut mir leid, habe ich nicht.
Schade. Aber "habe ich nicht" ist immerhin schon mal besser als "kann ich nicht".
Mittlerweile wird es sogar etwas sonniger, der Wind allerdings immer stärker. Wie schön wäre es in die andere Richtung heute gegangen.
Unterwegs eine Nachricht von Matthew aus Göteborg.
Jeden Tag verfolgt er meinen Reisebericht.
Ich muss zugeben, ich habe immer wieder Momente, da fühle ich mich hier ein wenig vergessen. Umso schöner, wenn mal kleine Botschaften kommen, die zeigen, hey ich denke an dich. Seine lieben Worte zaubern mir ein Lächeln ins Gesicht. Es ist schön zu wissen, dass man bei dem Ein oder Anderen einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat. Am Ende schickt er mir noch eine irische Weisheit, mir der ich meinen Weg mit neuer Motivation fortsetze.
Gegen 12:30 erreiche ich Berg, zusammen mit der Juno. Drei Jahre habe ich dafür gebraucht um endlich dieses Schiff aus der Nähe zu sehen. Dafür haben sich heute alle Strapazen gelohnt.
Um 14 Uhr checke ich im Wanderheim ein und mache mich gleich wieder auf den Weg zurück zum Kanal.
Überall Bänke, ständig fahren Boote vorbei. Immer wieder komme ich komplett runter, wenn ich an diesem Kanal sitze und das Treiben beobachte. Und spätestens bei der Botschaft meiner Eltern, meinem Eis und einem Cappuccino weiß ich:
Alles richtig gemacht heute.
Tag 22: Ljungsbro - Soderköping
87,1 km
Gesamt: 1953 km
Ich starte mit Sonne und einem wunderschönen Lauf am Götakanal in den Tag. Normalerweise bin ich es gewohnt, am Morgen allein unterwegs zu sein. Hier ist das anders. So viele Läufer sind schon auf den Beinen.. Das schöne Wetter zieht anscheinend alle aus dem Bett.
Ich starte wieder gegen 7, trotz vorhergesagter Sonne, mit Regenjacke, griffbereiter Regenhose und den wasserdichten Überschuhen. Ein wenig hab ich ja bisher gelernt.
Der Wind weht auch heute wieder aus Südwesten und sollte mich daher gut unterstützen.
Bis Linköping geht es fast von allein. Es folgt der tägliche Stopp beim Supermarkt, bevor ich die Stadt auch schon wieder verlasse. Linköping kenne ich bereits. Daher einfach wieder schnell raus, an bekannten Stellen komme ich zum Glück nicht vorbei. Der Götakanalleden verläuft heute genau so, wie ich meine Tour gestern geplant habe.
8 Kilometer weiter, in Ekängen am Roxen, hoffe ich auf eine schöne Frühstücksbank. Fündig werde ich leider nicht, aber auf der Karte sehe ich einige hundert Meter weiter einen Abzweig. Der Weg endet vorn am Wasser, da könnte was sein.
Und tatsächlich taucht eine tolle Badestelle, mit Bänken und Toiletten auf. Mich wundert es ein wenig, dass hier keine Camper stehen, da solche Plätze zum Übernachten eigentlich sehr beliebt sind. Ein Blick in die App erklärt dann auch warum. Dieser Badeplatz ist nicht eingetragen. Umso besser. Ich genieße die Ruhe, die Sonne und vor allem die Wärme.
Frisch gestärkt mache ich mich wieder auf den Weg. Kurz nach 10 ziehe ich tatsächlich die Jacke aus und fahre kurzärmlig weiter. Sonst ein völlig belangloser Akt, auf dieser Reise allerdings ein Meilenstein, der festgehalten werden muss.
Seit gestern macht die Schaltung in 2-3 Gängen wieder ein wenig Probleme. Beim ersten Mal bin ich 2 Wochen mit meiner Rumdreherei hingekommen. Wenn das jetzt wieder so ist, sollte ich es bis zur Fähre schaffen 🙈
Nein, Finger weg von der Schaltung Karina !
Wenn es nicht schlimmer wird, kann ich ohne Werkstatt weiterfahren.
Heute umfahre ich den Roxen auf der Südseite. Landschaftlich zwar nicht ganz so schön wie gestern auf dem Höhenzug im Norden, dafür kaum Höhenmeter. Nach den letzten Tagen eine Wohltat.
Und wenn die Sonne scheint, ist es eh überall schön, auch das von Landwirtschaft geprägte Bild der nächsten 20 Kilometer.
In Norsholm treffe ich für kurze Zeit wieder auf den Götakanal. Letztes Jahr beim Laufen am Kanal in Roth hab ich gesagt, das könnte jetzt auch der Götakanal sein. Heute denke ich mir, schaut aus wie beim Marathon in Roth. Dieser Abschnitt ähnelt dem Main - Donau Kanal schon sehr.
Kurze Zeit später führt mich der Radweg nochmal vom Kanal weg. Heute bin ich schlauer und umfahre den zweiten kleinen See auf der anderen Seite. Die Straße ist hier zwar etwas größer, aber ich komme mit dem Wind von hinten schnell vorwärts.
In Snövelstorp bin ich dann eh schon wieder am Kanal. Auffällig sind hier die vielen Radler. Allerdings fahren sie ihre Trainingseinheiten nicht mit dem Rennrad, sondern fast alle mit dem Gravelbike. Bei den Wegen am Kanal auch die bessere Wahl. Ab Snövelstorp bis Vänneberga, eine Länge von circa sieben Kilometer, lässt sich der Götakanalleden nicht schön fahren. Überall kleiner Schotter , sodass man permanent ein schwammiges Fahrgefühl hat. Auf der Gegenspur geht's etwas besser, allerdings kommen immer Radfahrer entgegen sodass ich ständig die Seite wechseln muss. In der Mitte liegen die kleinen Steinchen natürlich in noch größerer Menge. Hoffentlich geht das gut.
Das Radeln am Kanal ist heute einfach nur ein Traum. Die Sonne scheint, es ist warm, kein Wind von vorn... Was für ein Unterschied zu gestern. Kurz bevor ich in Soderköping reinrolle, hab ich mich mit dem Götakanalleden wieder versöhnt.
Ich komme an meinem Frühstücksplatz von gestern vorbei. So hätte ich mir das eigentlich gewünscht.
Vergleich gestern zu heute:
Auf der linke Seite kommt der erste Campingplatz. Wundervoll am Kanal gelegen, ich möchte allerdings auf den nächsten, näher am Zentrum. Also fahre ich die drei Kilometer weiter.
Kein Check-in von 12-15 Uhr. Es ist 12:15 Uhr. Mist. Glücklicherweise scheint der Hausmeister, oder was auch immer das ist, unterwegs zu sein. Ich sage ihm, dass ich einen Platz für mein Zelt brauche und ungern bis 15 Uhr warten möchte. Kein Problem. Anscheinend kennt er sich aus. Er geht vier Schritte von der Einfahrt und der Rezeption weg und zeigt auf die Wiese. Da kannst du dein Zelt aufstellen.
Hier? Hinter mir die Einfahrt mit Schranke, zwei Schritte nach links die Rezeption, drei Schritte nach rechts die Hecke zur Straße.
Gibts keine anderen Plätze? Er geht mir wieder voraus, bleibt allerdings nach wenigen Metern erneut stehen. Hier kannst du noch her.
Der Platz ist ähnlich wieder der erste, nur auf der anderen Seite der Rezeption. 30€ für einen Zeltplatz ohne Strom ist eh schon nicht so günstig. Da möchte ich nicht noch das Gefühl haben, in die letzte Ecke gesteckt zu werden.
Ich bedanke mich und beschließe, es auf dem anderen Campingplatz am Kanal zu probieren.
Ich fahre die drei Kilometer zurück und schon beim Betreten des Platzes weiß ich, es war die richtige Entscheidung. Einchecken kann ich gleich, die Plätze fürs Zelt sind direkt am Götakanal. Der Preis ist derselbe aber dafür fühle ich mich hier wohl.
Am Nachmittag spaziere ich ein wenig durch Soderköping, der wohl schönste Ort meiner bisherigen Reise. Ein kleines, verträumtes Zentrum mit alten Läden, bunten Häusern und engen Gassen. Am Kanal reihen sich kleine Cafés aneinander und ich finde sogar eins, die Cappuccino haben UND auch können.
Die kleinen Erfolge sind es, die zählen 🙂
Meinen Cappuccino trinke im Außenbereich des Cafés und beobachte das Treiben ein wenig.
In Soderköping gibt's wohl auch ein Kurhotel. Der Altersdurchschnitt der Spaziergänger liegt daher bei ungefähr 65. Mit welchen Beschwerden man zur Reha nach Söderköping geschickt wird, weiß ich nicht. Da allerdings neben, hinter und vor mir alles hustet, tippe ich auf Atemwegserkrankungen. Auch der Hund, der anscheinend unter Blähungen leidet, ist kein angenehmer Sitznachbar. Ich beschließe den Rückweg anzutreten.
Das für den Nachmittag angesagt Gewitter zieht zum Glück vorbei, die Regenwolken für 20 Uhr wohl leider nicht.
Auch hier gibt es wieder ein Küche, die mit allem ausgestattet ist und so verweilt mein Gaskocher weiterhin fast unbenutzt in der Tasche.
Beim Essen mache ich mir Gedanken über meine morgige Etappe. Valdemarsvik oder doch noch ein wenig weiter bis Edsbruk? Am späteren Nachmittag soll es wieder recht kräftig regnen. Zwar nur 1-2 Stunden, aber bis dahin sollte das Zelt stehen. Letztendlich wird mir allerdings nichts anderes übrig bleiben, als die Entscheidung morgen nach einem Blick in den Himmel spontan zu treffen.
Am Abend genieße ich noch einen letzten Spaziergang am Götakanal.
Denn wer weiß, wo die Reise nächstes Jahr hingeht..
~ Man erkennt selten den Wert eines Moments,
bis er zur Erinnerung wird. ~
Tag 23: Söderköping - Valdemarsvik
80,7 km
Gesamt: 2033,7 km
Am Abend sitze ich noch lang am Kanal und warte, bis die Sonne untergegangen ist. Was für eine tolle Stimmung.
Schon am Nachmittag hab ich die Luftmatratze aufgepustet, abends hab ich darauf meist keine Lust mehr. Heute hätte ich es mir sparen können, es ist kaum noch Luft in der Matte, als ich ins Zelt krieche. Lass es bitte einfach nur das Ventil sein, das ich nicht richtig zugemacht hab. Ich puste sie erneut auf, doch schon nach kurzer Zeit ist wieder deutlich weniger Luft drin. Damit ist klar, irgendwo ist ein Loch.
Hab ich eigentlich schon erwähnt, dass ich Strichlisten führe? Tage-ohne-Regen Liste, Hundeangriffsliste und die Pleiten-Pech und Pannenliste. Für die Matratze gibt's wohl einen weiteren Strich auf der letzten.
Ich starte einen kläglichen Versuch zu hören, an welcher Stelle die Luft austritt. Mit einer Schnellstraße und einem Schleusentor in unmittelbarer Nähe ein Ding der Unmöglichkeit. Ich schnappe mir die Matratze und marschiere damit um 22 Uhr zu den Duschen in der Hoffnung, das Loch zu finden. Was ich allerdings nicht bedacht habe, es gibt auf Campingplätzen meist keine Stöpsel zu Wasch- oder Spülbecken. Nachdem es in der Küche einigermaßen ruhig ist, versuche ich dort nochmal mein Glück, irgendwas zu hören . Aber keine Chance. In dem Moment weiß ich, das wird keine schöne Nacht.
Und so kommt es auch. Eine halbe bis eine Stunde dauert es, bis ich gefühlt auf dem Boden liege und wieder Luft aufpusten muss. Und das die ganze Nacht. Nicht nur, dass es unbequem ist, es wird dann auch einfach verdammt kalt von unten. Und so hangel ich mich irgendwie durch die Nacht, schlafe so gut wie gar nicht und bin einfach nur froh, als es langsam hell wird.
Immerhin hatte ich genug Zeit mir zu überlegen, was ich jetzt mache. Ich muss bis Kalmar kommen, dort gibt es einen Outdoor Shop. Und bis dahin? Entweder eine billige Luftmatratze zur Überbrückung kaufen, wofür ich allerdings einen größeren Supermarkt brauche den es hier nicht gibt, oder eine feste Unterkunft mit Waschbecken, am besten noch Badewanne. Ich entscheide mich für die Unterkunft.
Über Air Bnb finde ich in Valdemarsvik ein Zimmer. Laut Karte circa 2-3 Kilometer vom Zentrum entfernt. Das passt perfekt. Ich buche.
Der Wind kommt heute leider wie erwartet direkt von vorn und auch das ständige Auf und Ab begleitet mich auf meiner heutigen Etappe wieder. Mal geht es auf wenig befahrenen Straßen, mal auf breiten Schotterpisten. Menschen sehe ich kaum. Das schwammige Fahrgefühl, welches ich am Götakanal schon hatte, bleibt auch auf den Schotterwegen. Vielleicht sollte mal wieder richtig Luft in den hinteren Reifen gepumpt werden. Ich beschließe, beim nächsten Haus zu halten und nach einer richtigen Luftpumpe zu fragen. Leider gibt's hier nicht viele. Es dauert 15 Minuten, bis auf der rechten Seite ein Haus auftaucht, das auch bewohnt aussieht. Ich halte, gehe die drei Stufen hoch und will gerade klingeln, als mir ein Schild ins Auge springt.
"Warning", darunter eine Pistole.
Ich glaube, so dringend ist es mit der Luft dann doch nicht. Möglichst unauffällig verlasse ich das Grundstück.
Es geht weiter einsam durch den Wald, aber immerhin befinde ich mich auf einem offiziellen Radweg. Das vermittelt mir ein wenig ein besseres Gefühl. Irgendwann tauchen dann tatsächlich drei Bikepacker vor mir auf. Damit hätte ich nun gar nicht gerechnet, gesehen hab ich schon lang keine mehr. Zwei junge Erwachsene und eine ältere Frau. Geschätzt ist sie Mitte 60. Ich bin beeindruckt. Wir grüßen uns kurz, dann fahre ich vorbei.
Gegen Mittag erreiche ich Valdemarsvik, im Nacken die Regenwolken. War nicht von 15 Uhr die Rede? 10 Minuten später vorm Supermarkt spüre ich die ersten Tropfen.. um 12!!
Als ich mein Fahrrad abschließen will, treffe ich wieder auf die drei Bikepacker. Er sagt etwas zu mir auf Englisch, aber diesmal muss ich passen, ich habe es tatsächlich nicht verstanden und sage einfach nur "ja". An seinem Gesichtsausdruck sehe ich, die Antwort hat jetzt nicht gepasst, aber egal.
Kurz darauf kommt auch die ältere Frau am Supermarkt an. Die Beiden unterhalten sich auf deutsch.
"Du hättest dich ja gleich als Deutscher outen können, dann hätte ich dich auch verstanden.", sage ich zu ihm. Dann lacht er.
Ich bin neugierig und frage nach, woher sie kommen und wohin sie wollen. Seine Schwester und er sind seit 32 Tagen unterwegs, in Berlin gestartet und durchs Baltikum nach Stockholm. Dort haben sie ihre Mutter eingepackt und wollen jetzt nach Malmö. Ich schaue die Mutter an, ich schaue ihr Rad an, dann bin ich kurz sprachlos.
Dein Rad ist doch älter als deine Kinder miteinander oder? Sie bejaht. Aber es hat mich noch nie im Stich gelassen.
Hut ab.
Ich versorge mich im Supermarkt für den Abend und fürs morgige Frühstück. Dann mache ich mich auf den Weg zum Campingplatz. Pünktlich mit einem kräftigen Schauer komme ich an. Die Rezeption schließt 12 Uhr, ich erwische dennoch jemand, der mich kurz einweist. Die Hütten sind oben am Berg. Wie es halt immer so ist. Auf dem nach Weg oben komme ich an einem Sportplatz mit einer 400m - Bahn vorbei. Oh nein.. ist das ein Wink? Ich vertage die Entscheidung über das morgige Lauftraining erstmal.
Auf dem Platz stehen nur vereinzelt ein paar Camper, direkt daneben die Hütten. Sie ist klein, sie ist spartanisch aber irgendwie einfach nur süß und gemütlich. Und: es gibt ein Waschbecken mit Stöpsel. Meine Beschäftigung für den Abend steht dann schon mal fest.
Ich dusche und als der Regen erstmal vorbei ist, fahre ich zurück in den Ort. Ich suche wiedermal vergeblich ein Cafe für einen Cappuccino. Das erste hat nur normalen Kaffee, das Zweite weiß nicht, was ich will, das Dritte bietet mir Milchkaffee an, als ich zustimme gibt's dann doch nur "Black Coffee", beim vierten habe ich dann endlich Erfolg. So langsam glaube ich, dieses Erlebnis in Oxelösund war gar nicht so außergewöhnlich. Die kennen in Schweden tatsächlich keinen Cappuccino. Die Chance im letzten Café muss ich also nutzen und so trinke ich gleich zwei.
Da es hier ein öffentliches WLAN ohne Passwort gibt, plane ich meine Tour für morgen. Ich habe zwar schon mehrere auf den Wahoo geladen, unter anderem auch eine Notfallalternative bis Trelleborg aber es ändert sich ja doch immer wieder mal was. Leider kann ich meine Routen nur mit dem Tacho synchronisieren, wenn ich ohne eine Anmeldeseite ins WLAN komme. Hier sollte es also funktionieren. Die Strecke ist schnell geplant, der Tacho verbunden. Wird synchronisiert, steht auf der Startseite. Sieht gut aus. Allerdings nur für einen kurzen Moment. Als die Synchronisation beendet ist, sind alle geplanten Strecken weg. Der Tag nominiert sich gerade wieder für den Kacktag der Woche.
Ich frage im Café, ob er WLAN hat, aber er verweist mich nur zur Touristinfo und zur Bank, mit dem öffentlichen Internet, welches mir dieses Problem eingebrockt hat. Was jetzt? Ich erinnere mich an den Spreewald, als ich dieses Problem ebenfalls hatte. Ich bräuchte ein zweites Handy mit Hotspot. Doch woher nehme ich das zweite Handy? Ich mache mir nicht viel Hoffnung, aber ich ich probiere es mit meinem Eigenen. Der Hotspot ist schnell hergestellt, auch die Verbindung klappt. Und die Synchronisation? Tatsächlich, es schaut gut aus. Es dauert einen Moment, dann habe ich meine geplanten Strecken zurück.
Gott sei Dank!
Am Nachmittag starte ich meine Luftmatratzenaktion. Eine Challenge, bei der Größe des Beckens. Aber leider auch eine Challenge, die scheitert. Am Ende steht die halbe Hütte unter Wasser, ich bin das zweite Mal geduscht und das Loch ist immer noch nicht entdeckt. Leichter Frust macht sich breit.
Morgen fahre ich bis Västervik, ein etwas größerer Ort. Ich hoffe, dass ich dort zumindest eine Notfallmatratze finde sonst ist es mit der Zeltkarriere auf dieser Reise vorbei.
Ich hatte bisher in 3 Wochen zwei regenfreie Tage, nie mehr wie 14 Grad, mich 2 Wochen mit einer halb defekten Schaltung durchgeschlagen, eine gerissenens Schaltseil mitten im Nirgendwo und jetzt eine Luftmatratze ohne Luft... Wenn es irgendwann mal reicht, dann wäre jetzt der richtige Zeitpunkt. Ich kann mich noch bei Laune halten, optimistisch auf jeden weiteren Tag blicken und auf eine Lösung vertrauen... Aber wie lange noch, das weiß ich nicht.
Wenigstens der Typ an der Rezeption hat etwas Mitleid mit mir. Erst schenkt er mir ein Croissant, eine halbe Stunde später noch einen Cappuccino. Optisch der schönste im ganzen Urlaub 🙂
Tag 24: Valdemarsvik - Västervik
81,9 km
Gesamt: 2115,6 km
Humor ist, wenn man trotzdem lacht oder wie war das?
Geschlafen hab ich zum Glück gut, aber nach der Nacht vorher auch keine große Kunst.
Der Tag beginnt mit Nebel aber dafür ungewöhnlich warm.
Nur ungern verlasse ich meine Hütte, aber die Sonne steht in den Startlöchern. Mein Ziel ist Västervik.
Das Frühstück habe ich heute schon dabei, also heißt es gleich Ausschau nach einem schönen Rastplatz halten. Meine Route führt mich anfangs wieder auf eine etwas größere Straße, allerdings mit wenig Verkehr. Schöne Bänke kommen hier nicht, das weiß ich mittlerweile.
Nach 25 Kilometern nehme ich mal wieder mit einer Bushaltestelle vorlieb. Außerdem muss ich die Regenjacke ausziehen, ich schwitze. Wer mich kennt weiß, das will was heißen.
Immerhin der Hunger ist gestillt und so fahre ich weiter. Ganze 10 Kilometer komme ich voran, dann..
Nee, oder?
Ich bleib stehen, schau die schöne Landschaft an und muss lachen. Kennt das jemand? Man lacht obwohls zum heulen ist?
Bis Västervik noch 35 Kilometer. Hinten kann ich alle Gänge schalten, damit sollte ich die Strecke gut schaffen. Ich zeige meinem Rad den Mittelfinger, dann geht's weiter.
Landschaftlich wird es hier wieder traumhaft schön, aber ich kann es nicht richtig genießen. Gedanklich bin ich dann doch mehr bei dem, was mir jetzt erneut bevorsteht. Wo ist die nächste Werkstatt? Wie lang wird es wieder dauern? Wie lang ist der Fußweg bis zur Unterkunft ? Wie komme ich an eine neue Luftmatratze ohne mobil zu sein?
Ich atme einmal tief durch und beschließe, es einfach auf mich zukommen zu lassen. Ändern kann ich's eh nicht. Zur Not wird's eben wieder ein Ruhetag.
Immer wieder begegne ich nun anderen Bikepackern. Die haben solche Probleme nicht, denke ich mir. Oder doch? Wissen tue ich es nicht. Mir sieht man ja auch nicht an, dass ich gerade nur mit den kleinen Gänge fahre und eine Isomatte mit Loch am Lenker hängen hab.
11:45 komme ich in Västervik an. Das wird wieder eine Punktlandung zur Mittagspause. Ich habe zwei Fahrradläden auf der Karte markiert. Das erste ein Motorshop, das andere direkt ein Bikeshop. Ich will schon vorbei fahren, aber dann probiere ich es gleich beim Motorshop. Weiterfahren kann ich immer noch.
Ich erkläre kurz mein Problem auf Englisch, dann holt er einen Mechaniker dazu.
Wo liegt das Problem, fragt er mich?
Krass, spricht der jetzt echt deutsch?
Ja, deshalb hat er mich ja geholt, sagt er ganz selbstverständlich.
Warum weiß eigentlich jeder immer gleich woher ich komme, sobald ich was sage?
Das bekommen wir hin, beruhigt er mich und schon ist er mit meinem Rad verschwunden. Wie jetzt. Der macht das gleich?
Ich gehe ihm hinterher und schaue zu. Das ist ja anscheinend etwas, was ich mal lernen sollte.
Wir kommen ein wenig ins Gespräch und so erzählt er mir, dass er aus Bremen kommt und dort ein Fahrradgeschäft hat, welches er aber verkaufen will. Schon seit Jahren besitzt er in Schweden ein Ferienhaus und so verbringt er diesen Sommer als Aushilfe in dem Fahrradladen. Meine Rettung.
Wenn ich schon mal hier bin, soll er auch gleich die hintere Schaltung mit überprüfen. Ich will nicht in 2 Tagen wieder in der Werkstatt stehen.
Nach einer halben Stunde ist er fertig. Ich bedanke mich tausendmal und erkläre ihm, dass er mein Fahrradengel Nummer 3 auf meiner Reise ist. Wie lang bist du denn schon unterwegs? fragt er mich. 3,5 Wochen.
Dann sagt er nichts mehr.
Am Ende kostet mich diese zweite größere Panne knapp 30€. Ein wenig mehr als beim ersten Mal, aber dafür ging's super schnell. Bevor ich den Laden verlasse, drückt mir mein Fahrradengel noch 2 Blätter in die Hand. Fürs nächste Mal, sagt er nur.
Humor hat er ja.
Ich halte noch schnell bei Jula, eine Art Baumarkt. Tatsächlich finde ich eine neue Isomatte. Allerdings deutlich schwerer als die vorherige. Die Überlegung, wie und wo ich sie am besten transportiere, vertage ich erstmal.
Da sich der Hunger meldet, halte ich schnell beim Supermarkt. In Schweden ist man vor jedem Gang in den Laden grundsätzlich erstmal damit beschäftigt, den Pfandautomaten zu suchen. Damit es nämlich nicht zu einfach wird, sind sie immer woanders versteckt. Mal im Inneren gleich zu Beginn, mal am Ende vor den Kassen, mal zwischen Eiern und Mehl, mal direkt außen neben der Eingangstür, aber besonders gern als separates Häuschen im letzten Eck vom Parkplatz oder auf der Rückseite des Gebäudes. Bei einem Supermarkt a la Globus oder Real, marschiert man da gut und gern erstmal paar hundert Meter.
Immer noch glücklich, über die schnelle Hilfe, lade ich meine Sachen ab und mache mich auf den Weg in die Stadt. Das, was ich bisher gesehen hab, war vielversprechend. Und so ist es dann auch. Västervik ist eine gemütliche, kleine Stadt, links und rechts von Wasser und mehreren kleinen Häfen umgeben. Dazwischen tummeln sich Touris, aber die blende ich aus.
Dazu scheint die Sonne. Ein versöhnlicher Nachmittag für den doch so blöden Start.
Bis jetzt hat es übrigens noch nicht geregnet. Aber das Problem mit der Schaltung bietet ja heute genug Schreibmaterial. Da kanns auch mal trocken bleiben.
Vielleicht hätte ich meinen Reisebericht einfach nicht schreiben sollen. Dann brauchts nämlich auch nicht jeden Tag eine Storie und es würde weniger passieren. Aber wahrscheinlich ist da grad eher der Wunsch der Vater der Gedanken.
Am späteren Nachmittag bekomme ich noch den Tipp, meinem Rad einen Namen zu geben und es mehr zu loben.
Also ... Ab jetzt reise ich mit Burkhard.
Für heute Abend steht mir noch eine willkommene Abwechslung bevor.
Andi, ein Läuferfreund aus Deutschland, reist gerade mit Familie und Wohnmobil ebenfalls durch Schweden. Auch sie haben sich als heutiges Ziel Västervik ausgesucht.
Und so freue ich mich auf einen gemeinsamen Abend mit ein wenig Heimatgefühl.
Tag 25: Västervik - Oskarshamn
88,8 km
Gesamt: 2202,4 km
Diese Nacht war ich gefühlt gar nicht so allein. Andi stand mit seiner Familie nur 100m Luftlinie entfernt. Die Chance hab ich gestern Abend gleich genutzt um überschüssigen Ballast loszuwerden. Meine kaputte Isomatte und die Gaskartusche fahren nun mit dem Wohnmobil zurück nach Deutschland.
Auch wenn uns die Mücken zerstochen haben... Es war einfach nur schön, mal wieder bekannte Gesichter zu sehen.
Sonne am Morgen. Was für eine Wohltat. Ich starte ohne Überschuhe und verstaue sie sogar so, dass sie nicht sofort griffbereit sind. Wird schon gut gehen. Heute soll es bis Oskarshamn gehen. Wind angeblich aus Nordwesten. Ich bin gespannt.
Die neue Isomatte kommt wieder an den Lenker. Passt zum Glück. Doch schon nach wenigen Metern merke ich, so ganz passt es doch nicht. Sie ist länger als die vorherige, ich kann links nicht schalten. Also nochmal kurz halten und ein wenig zurechtrücken. Danach ist es besser.
Ich verlasse Västervik und lande gleich mal auf einer autobahnähnlichen Schnellstraße. Erlaubt sind hier 100, wer Schweden kennt weiß, sowas ist eher die Ausnahme. Meist ist auf 80 km/h beschränkt. Anfangs ist die Straße zweispurig, die Autos können mit genug Abstand vorbei fahren. Doch schon nach 1 Kilometer gibt's nur noch einen Fahrstreifen. In der Mitte ist ein Drahtseil als Begrenzung zur anderen Fahrbahn gespannt, sodass es einfach nur eng ist. Ein Auto nach dem anderen rast an mir vorbei, nur die wenigstens fahren ein weniger langsamer.
Das geht ja gut los.
Laut Tacho geht das jetzt 8 Kilometer so weiter. Bei jedem Auto halte ich die Luft an und bete, dass kein LKW von hinten kommt. Zum Glück kommt der Wind tatsächlich ein wenig von hinten, sodass ich schnell vorwärts komme. Nach einer knappen viertel Stunde hab ich es überstanden....
Und überlebt!
Was nun folgt, sind die schönsten 80 Kilometer meiner ganzen Reise. Die Landschaft ist heute einfach nur wunderschön, vielleicht auch, weil die Sonne scheint.
Keine großen Straßen mehr, stattdessen viele Fahr - und Schotterweg. Immer wieder hat man herrliche Ausblicke auf die Seen und kleinen Häfen.
Eine schöne Frühstücksbank suche ich dennoch wieder vergeblich, nicht mal eine Bushaltestelle finde ich. Irgendwann halte ich einfach an und setze mich auf einen Felsen. Vor mir ein tiefblauer See. Es ist zwar etwas unbequem aber die Aussicht entschädigt.
Die weitere Strecke geht auf der anderen Seite vom See zurück. Nur 4 Kilometer weiter bin ich am anderen Ufer und was kommt? Eine schöne Möglichkeit zum Frühstücken nach der anderen. Ich beschließe, beim nächsten Mal nicht die Notlösung zu nehmen, sondern einfach nochmal 4-5 Kilometer ranzuhängen.
Kurze Zeit später schickt mich meine Route in einen recht zugewachsenen Weg. Soll ichs echt riskieren? Es wären nicht nur 1 oder 2 Kilometer sondern 8 oder 9. Wenns ab der Hälfte nicht mehr weiter geht, wäre blöd. Ich entscheide mich für die Straße und dem offiziellen Radweg. Damit verlängert sich mein Weg zwar ein wenig, aber es fährt sich bisher so locker, da sollten paar Kilometer mehr kein Problem sein. Und es war die richtige Entscheidung. Ich genieße die Landschaft heute in vollen Zügen. Es regnet nicht, es ist warm und auch Burkhard zickt nicht. So hätte es doch von Anfang an sein können.
Immer wieder kommen kleine Ortschaften oder vielmehr zwei bis drei Häuser, die irgendeinen Namen für die Adresse gebraucht haben. In Misterhult treffe ich einen anderen Bikepacker bei seiner Brotzeit. Auch er sitzt in einer Bushaltestelle. Andere sind also auch nicht erfolgreicher, was die schönen Rastplätze betrifft.
Immer wieder ertappe ich mich dabei, wie ich auf den geschotterten Wegen grundsätzlich im Linksverkehr unterwegs bin. Auch wenn selten ein Auto kommt, ich sollte mich mehr an die schwedische Straßenordnung halten.
Bei einer kleinen Pause suche ich einen Campingplatz bzw eine Unterkunft für morgen. Kalmar soll das Ziel sein. Dort ist morgen ein Ironman. Vor einiger Zeit dachte ich noch, es wäre toll, ein wenig zusehen zu können. Jetzt weiß ich, an so einem Wochenende die Stadt anzusteuern, ist einfach nur dumm. Wie auch beim Triathlon in Roth oder zum Marathon in Berlin, verdoppeln alle ihre Preise bei so einer Veranstaltung. Zimmer gehen erst ab 120€ los, Warmshowers Hosts gibt es nur einen, der nicht antwortet und auch bei Air Bnb sind die Preise utopisch. Leider gibt es auch nur einen Campingplatz, der relativ zentral ist. Ich versuche mein Glück und rufe an.
Ja wir haben noch ein paar wenige freie Plätze, teilt mir der Rezeptionist mit. Ich bin erleichtert. Was soll er denn kosten?
630 Kronen.
Kurz glaube ich an einen Scherz.
Ich komme mit einem kleinen Zelt, nicht mit einem 12 m Wohnmobil.
Ja, das wisse er, aber was anderes hat er nicht mehr.
Kurz zur Info, 630 Kronen sind circa 53€.
Ich lehne dankend ab. Da muss eine andere Lösung her.
Ich schaue auf die Karte und finde 14 Kilometer vor Kalmar noch einen kleinen Campingplatz. Es wird Onlinebuchung angeboten und so sichere ich mir lieber gleich einen Platz. Für 23€ dann schon eher akzeptabel. Und insgeheim bin ich auch ein wenig froh, nicht durch Kalmar fahren zu müssen...
Gegen Mittag erreiche ich Oskarshamn. Der Campingplatz hier ist eher klein, liegt aber direkt am Wasser. Im Fenster der Rezeption eine Info. Wassertemperatur: 12 Grad.
Kurz drehe ich mich um.. da baden tatsächlich welche. Alles muss ich auf dieser Reise dann doch nicht haben.
Ich bekomme einen Platz für mein Zelt gezeigt, allerdings recht weit hinten. Da nicht viel los ist, verhandle ich mit ihm und erkämpfe mir einen Platz , der näher am Wasser ist. Für knapp 17€ ist es hier mal wieder etwas günstiger. Oft wurde bisher kein Unterschied gemacht, ob ich mein Zelt aufstelle oder mit einem riesigem Wohnmobil komme, der Preis war derselbe.
Am Nachmittag schaue ich mich ein wenig in Oskarshamn um. Wieder mal ein typischer Ort mit Industriehafen. Auch die Fähren nach Kalmar legen hier ab. Ich genieße die Sonne auf einer Bank im Hafen und merke seit dem Treffen mit Andi gestern, dass ich langsam an einen Punkt komme, an dem ich mit dem Alleinsein kämpfe. Mir fehlen vertraute Gesichter in meinem Umfeld...
So schön der Tag heute war, er ersetzt keine sozialen Kontake 😔
~ Die Einsamkeit ist ein schwerer Gegner,
den man alleine nicht besiegen kann. ~
Tag 26: Oskarshamn - Läckeby bei Kalmar
86,2 km
Gesamt: 2288,6 km
Besorgte Eltern sollte bitte erst morgen wieder mitlesen.
Das Schlimme an Campingplätzen, du weißt immer erst wenn es zu spät ist, welche Nachbarn du hast.
Und so habe ich bis weit in die Nacht laute Musik und immer wieder unüberhörbare Streiterei in der Hütte hinter mir. Ich höre die schwedische Sprache ja gern, geschrien klingt sie jedoch furchtbar.
Die Laterne direkt über meinem Zelt toppt die ganze Situation noch und so dauert es wieder recht lang, bis ich in den Schlaf finde. Aber immerhin, die neue Isomatte ist dicht. Hoffen wir, dass sie noch paar Tage durchhält.
Der Tag startet trüb, meinem Befinden angepasst. Ich gehe laufen um auf andere Gedanken zu kommen. Das erste Mal habe ich kein nasses Zelt. Ein kurzer Blick aufs Regenradar... Nichts.
Nach einer halben Stunde ziehen dann doch dunkle Wolken auf und ich bange um das trockene Einpacken. Aber es fallen nur ein paar vereinzelte Tropfen. Zurück am Campingplatz schaut es schon anders aus. Ich habe mich in einem Umkreis von gerade mal drei Kilometer bewegt und ausgerechnet hier kam deutlich mehr vom Himmel. Zelt ist zwar nicht richtig nass aber trocken halt auch nicht mehr. Ich checke nochmal die Regenwolken. 15 Minuten habe ich zum Abbauen, Umziehen und fertig packen. Das wird sportlich.
In Rekordzeit baue ich das Zelt ab und bin selbst erstaunt, wie schnell das doch gehen kann, wenn man ein paar Handgriffe ändert. Pünktlich zum einsetzenden Regen steige ich aufs Rad. Da es nach 10 Minuten wieder aufhören soll, fahre ich zumindest erstmal bis zum Supermarkt und gehe einkaufen. Schon auf den paar hundert Metern merke ich, dass der Wind wieder aus der richtigen Richtung kommt. Bei dem trostlosen Wetter heute genau das Richtige.
Da mich meine Strecke heute viel an der Küste entlang führt , kommen tatsächlich einige schöne Sitzbänke fürs Frühstück. Allerdings weht ein kalter Wind, sodass ich freiwillig die Bushaltestelle nehme.
Die nächsten 30 Kilometer fliegen so dahin. Immer ein Schnitt von 22-23km/h, wenig befahrene Straßen, auf der linken Seite immer wieder Ausblicke aufs Meer.
Schweden geht übrigens auch hässlich:
Ich fahre durch Mönsterås, danach geht's immer parallel zur Küste.
Und dann passiert es...
Ich sehe auf der linken Seite ein Naturschutzgebiet mit einer riesigen Schar Vögel. Ein toller Anblick. Ich schlage links ein, um mir das Ganze aus der Nähe anzuschauen und in dem Moment rutscht mir der vordere Reifen weg. Ehe ich realisiere, was passiert ist, stehe ich auf und gehe von der Straße. Hier fahren dann doch zu viele Autos um auf dem Mittelstreifen liegen zu bleiben.
Ich brauche paar Minuten, dann mache ich die erste Bestandsaufnahme. Zuerst am Fahrrad, dort scheint alles zu passen. Dann die Klamotten, auch hier keine Verluste. Sonnenbrille ist kaputt, aber die braucht hier dieses Jahr eh kein Mensch.
Am Ende bin ich selbst an der Reihe. Überall etwas Blut und ein wenig ein taubes Gefühl im rechten Handballen. Glück gehabt? Scheint so.
Humor ist wenn man trotzdem lacht?
Heute mal nicht.
Immerhin ein schönes Foto ist entstanden.
Ich steige auf und fahre weiter. Leider merkt man meist erst nach 10-15 Minuten, was alles weh tut. Und so kommen nach und nach die Schmerzen. Am Ellbogen, der Handballen, vor allem aber die Schulter. Ich fahre bis zum nächsten Ort und mache erstmal Pause.
Das hätte auch anders ausgehen können, geht es mir durch den Kopf. Es hätte aber auch einfach jetzt mal gut sein können...
Vielleicht ist das nun einfach der Punkt, an dem die Reise zuende gehen soll. Ich schaue noch ein wenig aufs Wasser um meine Gedanken zu sortieren.
Nein, du fängst jetzt hier nicht an zu heulen.
Ich erinnere mich an all die schönen Momente auf dieser Reise und wende es gerade nochmal ab.
Ich fahre lieber weiter.
Allerdings komme ich nicht weit. Ein schwammiges Fahrgefühl macht sich breit. Ein kurzer Blick auf den vorderen Reifen zeigt den Grund. Kaum noch Luft drin.
Auch das noch... Aber wenigstens vorn.
Auf der linken Seite sind Ferienhäuser, dort versuche ich jetzt einfach mein Glück. Vorn könnte ich es zwar allein aber Hilfe ist immer besser.
Nach wenigen Metern kommt mit ein Jogger entgegen. Mit ein wenig schlechtem Gewissen, dass ich seine Trainingseinheit unterbreche, spreche ich ihn an. In dem Moment fällt mein Blick auf sein Challenge Roth -Shirt. Bist du aus Deutschland, fragt er gleich.
Ich bin erleichtert. Ein Triathlet aus Deutschland mit großem Fahrrad Know-How. Ich hab schon immer irgendwie Glück. Zumindest was die Helfer betrifft.
Kurz erzählt er mir, dass er dieses Jahr in Roth dabei war und morgen in Kalmar an den Start geht.
Okay, dann wäre es ja vorhin eh nur ein kurzer Lauf geworden, sage ich zu ihm und beruhige mein Gewissen. Lachend gibt er mir Recht.
Während er meinen Schlauch wechselt, werde ich von seiner Frau verarztet.
10 Minuten dauert es, dann ist mein Vorderrad wieder montiert.
Ich bleibe noch paar Minuten und gemeinsam schwelgen wir in Erinnungen aus Roth....
Nächstes Jahr will er nochmal als Läufer in der Staffel an den Start gehen.
Ich hab da noch eine Rechnung offen, sagt er.
Da bist du wohl nicht der Einzige...
Vor einer Stunde dachte ich mir noch, 3 Wochen, 3 Fahrradengel. Ein Schnitt von einem pro Woche. Ich sollte vor Ende von Woche 4 in Trelleborg sein. Das ich den vierten schon kurze Zeit später brauche, damit hätte ich nicht gerechnet.
Und dann hilft alles nichts.. Ich muss weiter. Trotz mäßiger Schmerzen, aber Ibu wirds schon richten.
Einige Kilometer vorm Campingplatz komme ich an einem Supermarkt vorbei. Ich besorge gleich alles für das Abendessen. Am Ausgang werde ich von zwei Mädels angesprochen. Vielleicht 11 oder 12 Jahre alt.
Wohnst du hier?
Nein, ich komme aus Deutschland.
Machst du beim Ironman mit, fragen sie mich?
Klar. Mit 20 Kilo Gepäck machts doch erst richtig Spaß.
Dann sehe ich nur noch große Augen und offene Münder. Ich verabschiede mich und lasse sie weiter ihre Zimtschnecken verkaufen. Gesprächsstoff haben sie jetzt mit Sicherheit erstmal genug.
Die letzten Kilometer darf ich noch ein wenig ins Wettkampf-Feeling kommen, denn ich scheine auf der Radstrecke von morgen unterwegs zu sein. Überall Markierungen und Absperrungen am Rand.
Der heutige Campingplatz liegt auf einer Landzunge. Leider weht hier auch der Wind recht stark. Ich suche mir einen Platz mit wenig sandigem Untergrund, möglichst keinen Tannenzapfen und wenig Wind. Gar nicht so einfach. Am Ende bleibt der Wind, der Rest passt einigermaßen.
Nach einer warmen Dusche und ohne Blut sehe ich schon gleich gar nicht mehr so schlimm aus.
Dann gehe ich zur Rezeption, dort gibt es einen windgeschützten Bereich. Temperaturmäßig ist's dort wenigstens zum Aushalten.
Und man mag es kaum glauben , was es hier gibt:
Am Nachmittag werden die Schmerzen mehr. Vor allem in der Schulter. Zum Glück ist hier jeder Supermarkt eine halbe Apotheke. In Kalmar sollte ich mich morgen gut mit Schmerztabletten eindecken können. Und ich bin ja eh schon auf dem Rückweg.
Auf meinen geplanten Spaziergang habe ich heute keine Lust mehr. Das Wetter lädt nicht wirklich dazu ein und ich bin auch einfach froh, dass ich jetzt etwas zur Ruhe kommen kann.
Aber bei Sonne wäre es hier ein wunderschöner Platz.
Als ich den Tag ein wenig Revue passieren lassen, wird mir wiedermal bewusst, dass so eine Reise ganz schnell vorbei sein kann.
Ich mache auf dieser Tour wahrscheinlich so ziemlich alles mit, was passieren kann. Der einzige Trost, es ist Gott sei Dank immer gleich ein passender Helfer ums Eck. Aber wie lange halt noch...
Ich könnte jetzt schreiben, scheiß Tag, mache ich aber nicht. Morgen sieht die Welt schon wieder anders aus.
Okay, ich mache es doch:
SCHEIẞ TAG!
Ich hab nämlich im Supermarkt Nutella vergessen. Jetzt muss auf die Semmel auch noch Marmelade. 😩
Tag 27: Kalmar - Karlskrona
112,25 km
Gesamt: 2401,12 km
Auch in der Nacht lässt der Wind nicht nach. Dazu kommt das Problem, dass ich nicht weiß, wie ich liegen soll. Vor allem gegen 3 Uhr merke ich dann doch schon sehr, dass ich gestern unsanft gelandet bin.
Für 5 Uhr ist Regen angesagt, der zum Glück ausbleibt und so komme ich relativ früh los.
Das Wetter ist jedoch trotzdem alles andere als schön. Der Wind ist frisch und der Nebel sorgt dafür, dass ich nach kurzer Zeit das Gefühl habe, überall so langsam durchzuweichen. Aber es soll ab Mittag besser werden.
Richtig schmerzfrei geht das Radeln allerdings leider nicht. Ein geprellte Schulter merkt man dann doch mehr, als ich gedacht habe. Und auch die rechte Hüftseite fühlt sich nicht so ganz angenehm an. Vom Anziehen heute morgen sprechen ich mal lieber nicht. Aber was soll's, die Fähre kommt ja schließlich nicht zu mir.
Heute möchte ich bis Karlskrona, dort kann ich bei Anna übernachten, die ich über Couchsurfing angeschrieben habe. Der Wind ist heute ähnlich wie gestern und müsste gut von hinten schieben. Daher sollten knapp 100 Kilometer gut zu schaffen sein.
Um Kalmar mache ich einen Bogen, ich möchte nicht wissen, was da durch den Ironman los ist. Und auch heute bin ich anfangs auf der Radstrecke unterwegs. Überall Schilder, überall motivierende Botschaften auf der Straße. Für mich ist leider keine dabei. Schade.
Nach knapp einer Stunde mache ich meine Frühstückspause und wähle mal wieder freiwillig die Bushaltestelle. Hier weht wenigstens kein Wind. Währenddessen bin ich ins Handy vertieft, ich möchte mir meine Strecke nochmal auf der Karte anschauen. Schön wird's heute nicht, viele lange Geraden und nicht ein einziger Kilometer verläuft an der Küste.
Kurz schaue ich auf...
Huch.
Vor meiner Nase ein großer , gelber Bus. Ich schau blöd , der Busfahrer schaut blöd, dann fährt er weiter.
Was war das denn jetzt?
Das gab's ja noch nie. Hinter mir der Fahrplan. Ich schaue kurz drauf und tatsächlich... 8:31 Uhr ein Bus nach Kalmar.
Das Wetter ist leider noch nicht besser. Frierend fahre ich weiter. Heute kommen nicht mal schöne Fotomotive. Oder sehe ich sie vor lauter Nebel einfach nur nicht?
Circa 16 Kilometer vor Karlskrona schreibe ich Anna, dass ich 12:15 bei ihr ankommen werde. Eine Antwort kommt sofort, es ist okay. Tomorrow or?
Was? Morgen? Nein heute.
Ich schaue kurz in die Nachrichten von Couchsurfing und tatsächlich... Ich hab von Sonntag auf Montag bei ihr angefragt 🤦
Vielleicht sollte man auch im Urlaub die Wochentage ein wenig im Blick behalten.
Was jetzt? Ich erkläre ihr mein Malheur. Dann kommt keine Antwort mehr. Ich checke die Campingplätze. Es gibt 2, zur Not könnte ich also ausweichen.
Bevor ich buche, rufe ich kurz bei ihr an. Sie lacht, es wäre kein Problem, ich kann auch heute kommen, allerdings ist es noch nicht so sauber durch die Katzen. Nicht so schlimm ( naja , eigentlich doch, sage ich ihr aber nicht), ich werde den Nachmittag sowieso in der Stadt verbringen.
20 Minuten später erreiche ich Annas Haus. Immerhin schon mal kein Häuserblock sondern ein Einfamilienhaus in einer normalen Gegend. Ich klingel, sie öffnet mir die Türe und sofort hängen zwei Hunde an meinen Beinen. Ich gehe drei Schritte zurück. "Die machen nichts."..
Wie ich diesen Satz hasse. Ich erkläre ihr kurz, dass sie die Hunde bitte nicht so nah an mich heran lassen soll und erzähle ihr von meinem Hundeerlebnis vor paar Monaten. Sie versteht es und nimmt die beiden zurück.
Dann zeigt sie mir einen Platz in der Küche, mein Gepäck soll ich einfach erstmal dort abstellen, das Zimmer ist noch nicht sauber. Ich kann aber gern erstmal duschen, sie gibt mir ein Handtuch. 5 Minuten sucht sie ein Sauberes, erfolglos. Ich winke ab, ich hab eins dabei. Das geht ja gut los.
Bevor ich dusche, verstaue ich ein paar wenige Lebensmittel im Kühlschrank. Ich weiss nicht, ob es ihr eigener oder die Hundefutterkühlung ist, aber darin würde ich nicht ein einziges Lebensmittel anrühren.
Auf dem Weg zum Badezimmer werfe ich einen kurzen Blick in mein heutiges Schlafzimmer... Sonst ganz offensichtlich das Hunde - Zimmer... Ich will schon weiter gehen, als sich vorm Schrank was bewegt. Anscheinend gibt's hier nicht nur Hunde und Katzen, auch zwei Schildkröten spazieren fröhlich durchs Haus.
Wie komme ich aus der Nummer jetzt noch raus?
Vermutlich gar nicht. Wiedermal Augen zu und durch?
Im Bad wird's nicht besser. Alles riecht nach Hund, geputzt wurde schon länger nicht mehr.
Nachdem ich die Dusche hinter mich gebracht hab, verabschiede ich mich erstmal in die Stadt mit der Hoffnung, in ein paar Stunden sieht's hier anders aus.
Ich weiß, dass es keine Selbstverständlichkeit ist, dass man bei fremden Menschen for free übernachten darf und oftmals auch gleich noch zum Essen eingeladen wird. Dennoch bin ich der Meinung, man sollte zumindest eine einigermaßen hygienische Wohnung vorzeigen können.
Zum Glück scheint mittlerweile die Sonne. Karlskronas Zentrum liegt auf dem Ende einer Landzunge und ist überall von Wasser umgeben. Drum herum überall kleine Inseln, die man über Brücken erreichen kann.
Ich schaue kurz in die Fußgängerzone, aber da ich sowieso nichts shoppen kann, suche ich mir lieber ein kleine Insel um mich in die Sonne zu setzen.
In einer ruhigen Minute lese ich die Bewertungen von Anna. Es sind zwar alle positiv aber die Hunde und Schildkröten werden erwähnt. Ich muss mir angewöhnen, vorab ein Blick in die Referenzen zu werfen.
Vielleicht sollte ich mich hier heute Abend einfach in eine Bar setzen und warten, bis der Tag vorbei ist.
Die Bar verschiebe, nicht mal annähernd war eine einladende dabei. Typische Hafenspelunken halt.
Stattdessen mache ich mich auf den Rückweg. Als ich zurückkomme, ist zumindest mein Zimmer so, dass man es betreten kann. Nichtsdestotrotz, auch Anna ist wieder super nett und gastfreundlich. Manchmal hat man eben andere Vorstellungen von einem schönen Zuhause.
Am Ende überwiegt dann aber doch die Erleichterung, denn so bleibt mir wenigstens das Zelt auf- und abbauen erspart. Unter den derzeitigen Umständen wäre es kein leichtes Unterfangen.
Tag 28: Karlskrona - Rönneby
85,2 km
Gesamt: 2486,4 km
Meine Strecke habe ich heute so geplant, dass ich oft ans Wasser komme. Und so finde ich nach 20 Kilometern eine der wenigen tollen Frühstücksplätze auf dieser Tour. Mitten auf einem Steg steht eine Bank mit Tisch. Jetzt fehlt nur noch Sonne, aber ich will meine "Glückssträhne" mal lieber nicht überstrapazieren.
Danach mache ich einen Abstecher nach Hasslö. Links und rechts der Straße überall Naturreservate und tolle Ausblicke auf die schöne Landschaft. Ich drehe eine Runde über die Insel... Hier würde ich mich wohlfühlen. Ruhig, beschaulich, überall schöne Häuser, kaum Touristen.
Mit wenig Wind und kaum Höhenmetern strengt das Fahren heute kaum an, allerdings bekomme ich immer mehr Probleme mit der Hüfte. Ich ändere immer wieder die Sitzposition, aber es wird nicht besser. Zum Glück ist es nicht mehr weit.
Auf den letzten Kilometern versperrt mir tatsächlich noch eine Schranke den Weg. Ich schaue links und rechts, aber es gibt kein Durchkommen für mich. Das Rad oben drüber heben? Mit meiner Schulter keine Chance. Bleibt nur unten durch, aber auch das ist kein Spaß. Am Ende schaffe ich es mit ganz viel Zähne zusammenbeißen auf die andere Seite.
Von Rönnebyhafen führt ein gut geteerter Weg bis in die Stadt, immer an einem kleinen Kanal entlang. Ich fühle mich nochmal ein wenig wie am Götakanal.
Am Ortseingang gleich ein Park mit alten Häusern und wieder mal einem Antikmarkt. Ist das schön hier. Das Wanderheim für heute ist nur 300 Meter entfernt und in demselben alten Bäderstil errichtet, wie die Gebäude im Rönnebypark. Das wohl schönste Hostel der letzten 4 Wochen.
Endlich kann ich absteigen und das Rad beiseite stellen. Heute ist es das erste Mal ein Erleichterung. Ich dusche, wasche meine Sachen und spaziere anschließend noch ein wenig durch den Kurpark. Überall schlängeln sich Wege durch die Anlage, auch einige Geocaches sind versteckt und so habe ich gleich eine Beschäftigung.
Auch an einem Naturum komme ich vorbei. Ich will nur kurz einen Blick hinein werfen, die Tierwelt gehört jetzt nicht so zu meinen obersten Interessengebieten. Am Ende dauert es eine Stunde, bis ich wieder draußen bin. In einer wunderschönen Halle ist alles über die Naturreservate der Umgebung, dem dortigen Lebensraum und auch über die Hintergründe des Kurparks dokumiert und so aufbereitet, dass man sich nicht losreißen kann. Beeindruckt von der Menge an interessanten und spannenden Geschichten spaziere ich zurück zum Wanderheim.
Den restlichen Abend lasse ich auf dem Balkon ausklingen und plane meine Strecke für morgen.
Auch über die "Heim"reise mache ich mir langsam Gedanken.
Fähre ab Trelleborg bis Rostock oder ab Malmö bis Travemünde? Und wie ab dort weiter? 12h Zugfahrt in der Regionalbahn? 100x "Falls sie hier aussteigen möchten, drücken Sie bitte die Haltewunschtaste an einer der Türen."?
Nein danke.
Wieder Flixbus? Die Abfahrtszeiten mit freien Fahrradplätzen sind alle mitten in der Nacht.
Bleibt noch Mietwagen und selbst fahren.
Gern wäre ich bis Berlin und hätte einen Zwischenstopp bei Tino und Helena gemacht. Die beiden habe ich vor einem Jahr kennengelernt, als sie mit ihren Tandem gerade auf einjährige Europatour gestartet sind. Seitdem haben wir Kontakt. Wie gern würde ich die Beiden wiedersehen. Leider sind sie derzeit in Hildesheim und richten ihre Wohnung ein. Also doch Malmö - Travemünde? Dann würde es auf dem Weg liegen.
Ich schiebe die Entscheidung noch ein wenig auf.
Ein paar Tage habe ich ja noch.
Tag 29: Ronneby - Sölvesborg
92,1 km
Gesamt: 2486,4 km
So schön das Wanderheim hier ist, so furchtbar sind die Betten. Gefühlt versinkt man darin. Sonderlich gut geschlafen hab ich nicht aber ich fühle mich trotzdem gut erholt. Von daher ist es halb so schlimm. Ich breche heute mal bei Sonnenschein auf. Die ersten Meter führen mich durchs Zentrum und hier merke ich, dass ich in Rönneby schon war. Anscheinend damals nur in der Innenstadt, an den Park kann ich mich nicht erinnern.
Mein heutiges Ziel ist Sölvesborg. Laut Wettervorhersage sollte mich die Sonne den ganzen Tag begleiten. Doch schon am Ortsausgang von Rönneby ist sie weg.
Ja, ich hab's mal wieder geglaubt.
Je weiter ich fahre, desto trüber wird es. Nebel zieht auf und sorgt für eine trostlose Stimmung. Die Pause fürs Frühstück verschiebe ich immer weiter nach hinten, ich hab keine Lust schon wieder zu frieren. Und so vergeht Kilometer für Kilometer..
Mein Versuch, bei der Streckenplanung gestern, einige Zeit von einer größeren Straße wegzukommen, führt mich mal wieder auf ein Privatgrundstück. Auf der Karte ganz eindeutig ein fahrbarer Weg, allerdings muss man zu Beginn durch den Hof fremder Leute. Da bei sowas ganz gern mal ein unangeleinter Hund als Aufpasser unterwegs ist, wage ich keine Experimente und kehre um. Dann doch lieber die Straße und zwei Kilometer mehr.
Irgendwann werde ich schließlich für mein Ausharren belohnt. In Matvik wird es tatsächlich ein wenig heller und ich steuere eine Sitzbank im Hafen an. Nach einigen Minuten kommt sogar die Sonne ein bisschen hervor.
Na bitte, es geht doch.
Während ich meine Sachen auspacke, führt 50 Meter weiter ein Mann seinen Hund spazieren. Anscheinend hat er noch nie einen Menschen bei der Brotzeit gesehen. Ganze 10 Minuten verharrt er in seiner Position und starrt mich an. Solche Situationen in Schweden sind mir neu.
Ich versuche es zu ignorieren.
Danach geht es auf einer kleinen Straße, immer am Wasser entlang, weiter Richtung Karlshamn. Diese kleinen, geschwungenen Sträßchen, die immer ein klein wenig hoch und runter gehen und hinter
jeder Kurve ein neues , wunderschönes Schwedenhaus zum Vorschein bringen, die liebe ich ja... Und so genieße ich die nächsten Kilometer in vollen Zügen.
Durch Karlshamn bin ich schnell durch. Ich hatte auf ein kleines Hafencafé gehofft. Leider vergeblich.
Am Ortsausgang springt mir schließlich ein Fahrradladen ins Auge. Ich halte an und gehe hinein...
Und nun?
Es erinnert gerade ein wenig an die erste Woche in Dänemark. Da habe ich mich auch vorsorglich in Bushaltestellestellen gesetzt und auf den Regen gewartet, der nie lang auf sich warten ließ.
Funktioniert mit einer Panne und einer Fahrradwerkstatt halt irgendwie nicht. Aber egal, schöne Gefühle lösen die Läden in mir mittlerweile trotzdem aus. Damits nicht ganz umsonst war, frage ich nach Luft für die Reifen, vor allem den hinteren. Gern helfen sie mir weiter und während ich warte, suche ich mir ein schönes Ersatzrad aus.
Man weiß ja nie...
Hinter Karlshamn bin ich dann auch angekommen - im Rimini von Schweden. Die nun kommenden Ortschaften sind alle sehr auf Urlauber ausgelegt. Große, unpersönliche Campingplätze, keine Schwedenhäuser mehr, stattdessen ein Ferienhaus am Anderen. Der Wind kommt nun auch wieder von vorn und macht das Fahren nicht angenehmer. Zum Glück habe ich es nicht mehr weit.
Leider merke ich seit heute Morgen immer wieder ein Kratzen im Hals. Anfangs hoffe ich auf Einbildung, doch gegen Mittag weiß ich, ich kann es nicht weg ignorieren. Woher kommt das jetzt? Mit einer Erkältung hätte ich eher in den ersten Wochen gerechnet, als die Nächte unter 10 und am Tag das Thermometer nicht höher als 12 Grad geklettert ist. Aber jetzt? Hoffentlich geht's nochmal an mir vorüber.
Die letzten Kilometer vor Sölvesborg kommen auf dem Radweg nun auch wieder heimische Gefühle auf. Alle paar Meter Barrieren, durch die man kaum hindurchpasst und jedes Mal absteigen muss. Hier können auch die Schweden noch was lernen, aber eher von den Franzosen, wo man nicht selten auf den Radwegen sogar Vorfahrt hat.
Am frühen Nachmittag erreiche ich die Stadt. Heute darf ich mich bei Peter einquartieren. Die Bilder waren vielversprechend. Ein neues Haus, dass sich laut Referenzen in einer schönen Wohnsiedlung befindet.
Kurz nach 13 Uhr klingel ich an der Haustür. Mit "Guten Morgen" werde ich begrüßt. Ich werfe kurz einen Blick auf die Uhr, nicht ganz unbemerkt anscheinend. Dann sagt er nur, er ist gerade erst aufgestanden.
Naja.. warum nicht.
Ich bekomme ein eigenes Zimmer, einen Haustürschlüssel und kann duschen.
Am Nachmittag erkunde ich wieder einmal die Gegend. Es gibt ein kleines Schloss und ein beschauliches Zentrum. Überall sind schöne Sitzgelegenheiten am Wasser und so lasse ich mir die Sonne ins Gesicht scheinen.
Nur noch zwei Tage auf dem Rad, geht es mir durch den Kopf. Auf der einen Seite weiß ich nicht, wie viele Vorfälle und Pannen ich noch weggesteckt hätte, auf der anderen Seite kann ich es mir nicht vorstellen, bald nicht mehr jeden Morgen aufs Fahrrad zu steigen und den ganzen Tag draußen in der Natur zu sein. Die Handgriffe sitzen mittlerweile, die Abläufe sind routiniert... Aber es hat eben auch alles mal ein Ende...
Viele unvergessliche und tolle Erfahrungen bleiben dafür..
Und während ich versuche, ein wenig Wehmut abzuschütteln, taucht mein kleiner, blinder Passagier wieder auf.
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