Selbstreflexion ist ein besonderes Kunststück. Man muss, wie in der Muppet Show, auf der Bühne stehen und singen und zugleich am Balkon sitzen und sich selbst dabei zusehen.
- Ruth Seliger
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Nachtrag zum 30.7:
Hat tatsächlich jemand geglaubt, das Wetter wäre in Schweden besser? 🙄 Pünktlich als wir von Board gehen (müssen), beginnt es wolkenbruchartig zu regnen. Der Nachteil ist, man kann nicht warten, bis es vorbei ist. Sonst geht's wieder zurück nach Grenaa. Also Augen zu und durch. Da das Regenradar mindestens 3 Stunden Dauerregen anzeigt, bin ich tatsächlich das erste Mal Weichei und fahre ins Hotel. Doch auch 6 Kilometer reichen aus um komplett durchnässt zu sein. Oh man, so hab ich mir das alles nicht vorgestellt.
Tag 8: Halmstad - Träslövsläge
85 km
Gesamt: 804,4 km
Der Tag startet, wie soll es auch anders sein, mit Regen. Aber immerhin meine Sachen sind über Nacht alle einigermaßen getrocknet. Ich nutze ein Regenfenster, oder eher ein angebliches Regenfenster, für eine kleine Laufrunde ums Hotel. Nur 6 km, eine halbe Stunde. Bereits nach 2 km muss ich mich wieder unterstellen. Wäre ich mal lieber auf dem Laufband geblieben. Das Ergebnis, Frust und wieder mal nasse Schuhe. Aber zum Glück gibt's im Hotel eine Föhn. So bekomme ich wenigstens die Schuhe und Socken wieder annähernd trocken. Ich beschließe, mir vom Supermarkt noch was zum Frühstück zu besorgen und das trockene Hotelzimmer noch ein wenig zu nutzen. Vor 9 Uhr , ich korrigiere 10 Uhr , brauche ich eh nicht starten. Sowieso wird es heute wieder ein einziges von Unterschlupf zu Unterschlupf fahren. Angeblich soll es am Nachmittag trockener werden. Ich hoffe es, dann fahre ich einfach abends länger.
Sicherheitshalber kaufe ich mir noch ein paar Tüten. 2 für die Sachen, 2 für die Füße. Zum Glück habe ich noch einige Survivaltipps von erfahrenen Skitourengeher im Kopf und so werden die Füße in den Schuhen wenigstens nicht ganz so nass.
In solchen Momenten wie heute kostet es schon viel gutes Zureden, nicht aufzugeben, was alleine nicht immer so einfach ist. Eigentlich will ich doch nur ein wenig radfahren 🥺
(Fortsetzung vom heutigen Tag folgt heute Abend)
~Erinnerungen - die eine Sache, die uns niemals jemand wegnehmen kann.~
*Catherine Pulsifer
Tag 9: Trävlövsläge - Göteborg
102, 4 km
Gesamt: 906,8 km
Am gestrigen Abend gestellten sich noch einige weitere Bikepacker in das kleine Schwedenhaus. Als ich am Abend die Küche für einen Kaffee nutze, werde ich auf mein Challenge Roth Armband angesprochen. Gemeinsam philosophieren wir am späteren Abend noch über den Sport, das Laufen und die Leidenschaft hierfür. Und trotz meiner sparchlichen Bedenken versteht er mich und ich ihn.
Am nächsten Morgen breche ich kurz vor 7 Uhr auf um dem Regen davon zu fahren. Vorausschauend mit Regenhose und eingetüteten Füßen.
In Varberg halte ich kurz am Supermarkt, bevor es zügig Richtung Norden weitergeht. Für mich ist dieses Jahr jeder Supermarktbesuch eine Strafe. All die leckeren Sachen muss ich im Regal lassen, dabei würde ich so gern einen Vorrat für die Zeit in Deutschland mitnehmen. Die nächsten 20 Kilometer sind einfach nur trist. Der Radweg führt neben der Bahnlinie entlang und überhaupt hat man eher das Gefühl, man fährt durch eine von Industrie geprägte Gegend. Erst kurz vor Stråvalla wird es wieder schöner und hier mache ich dann auch meine Frühstückspause. Diese nutze ich, um mir eine Unterkunft für die Nacht zu suchen. Gefühlt sind alle Schweden noch im Urlaub, bei Warmshowers kommt eine Absage nach der Anderen. Am Ende habe ich doch noch Glück und darf mich bei Matthew in Göteborg einquartieren. Er ist bis 17 Uhr in der Arbeit, aber ich solle dort einfach vorbei kommen und mir den Wohnungsschlüssel abholen. Ich fühle mich wieder sofort Willkommen.
Es dauert nicht lange, dann spricht mich ein Spaziergänger an. Wo ich herkomme und hin möchte, fragt er mich. Er selbst ist aus den Niederlanden und steht mit seinem Wohnmobil auf dem Campingplatz. Anscheinend zieht man als alleinreisende Frauen auf dem Rad doch ein wenig das Interesse auf sich. Danach geht es für mich auch schon weiter.
Auf dem Fahrrad hat man ja bekanntlich die besten Einfälle und so kommt mir die Idee, einfach ein Paket mit all den Leckereien nach Deutschland zu schicken. Somit könnte ich mir doch ein wenig Schweden mit nach Bayern nehmen. Früher nannte man sowas glaube Westpaket.
Kurz nach Åsa treffe ich dann auf ein Bikepacker-Pärchen, die gerade eine kurze Pause am Straßenrand machen. Da fällt mir ein, dass ich schon lang die Luft im hinteren Reifen aufpumpen wollte, mit meiner kleinen Pumpe aber nicht so viel Druck ins Rad bekomme , wie ich das gern möchte. Kurzerhand drehe ich um und frage, ob sie mir helfen können. Während er meinen Reifen aufpumpt fragt sie mich, woher ich denn komme. "I started in Hamburg." " Oh du bist auch aus Deutschland", lacht sie, und schon ist das Eis gebrochen. Ein kurzer Plausch, in der ich erfahre, dass sie ebenfalls Lehrerin ist und an der Mosel lebt, dann ziehen wir weiter.
Nach 10 Kilometer begehen wir uns erneut und beschließen, unseren Weg nach Göteborg eine Zeit lang gemeinsam fortzusetzen. Nach einer Woche allein auf dem Rad genieße ich diese willkommene Abwechslung. Die beiden kommen von Malmö und wollen in Göteborg die Fähre nach Dänemark nehmen. Er arbeitet in der Pizzaabteilung von Dr. Oetker und erzählt ein wenig von unrunden Salamischeiben und Pizzen, die nicht der Norm entsprechen. Sofort hab ich Hunger 🙈 Nach einer Stunde trennen sich dann unsere Wege.
Ich habe noch 20 Kilometer bis Göteborg. Das reicht, um am Nachmittag ein wenig die Stadt zu erkunden. Aber vorher fahre ich zu Matthew an die Uni und lasse mich einweisen. Am Ende habe ich eine Wegbeschreibung und einen Haustürschlüssel in der Tasche und stelle wiedermal fest, dass mein Englisch vielleicht doch nicht so schlecht ist, wie immer gedacht. Kurz bevor ich zu seiner Wohnung aufbreche, drückt er mir noch eine Karte in die Hand, mit der ich alle Museen kostenlos besuchen kann. Wiedermal bin ich sprachlos.
2 Kilometer geht's nun noch durch die Stadt und dann stehe ich auch schon vor der Haustür. Für die Nacht bekomme ich das Zimmer seiner Tochter Alica :) Das Gravelbike mitten im Wohnzimmer lässt mich hier noch wohler fühlen.
Heute habe ich es tatsächlich geschafft, trocken an meinem Ziel zu kommen. Vielleicht sollte ich einfach am Morgen immer in kompletter Regenmontur starten 🙈
Morgen geht es für mich weg von der Küste, durchs Landesinnere bis südlich von Stockholm. Mit Campingplätzen wird es dann schon schwieriger, was ein etwas mulmiges Gefühl mit sich bringt. Doch da ich den Sverigeleden folge, hoffe ich einfach, dass dennoch immer wieder Übernachtungsmöglichkeiten kommen, die in der App nicht eingezeichnet sind.
Etwas später beim Einkaufen bekomme ich wieder deutlich zu spüren, dass ich mich an manche Sachen hier einfach noch gewöhnen muss . Ich nehme grundsätzlich nie einen Kassenzettel mit und als ich auch diesmal im Supermarkt wieder abwinke, zeigt der Kassierer in Richtung Mülleimer. Okay, selbst wegschmeißen ist kein Thema und so landet er in der Tonne. Drei Schritte weiter stehe ich vor einer verschlossenen Ausgangstür. Erst da wird mir bewusst, er hat nicht den Mülleimer gemeint sondern den Kassenzettelscanner an der Ausgangstür. Ohne Kassenzettel kein Herauskommen. Netterweise hat er mir aus meiner Misere geholfen und mir blieb der Griff in die Mülltonne erspart.
Am Nachmittag schaue ich mich ein wenig in der Stadt um. Am Ende lande ich in der Hafeneinfahrt. Zwei Stunden sitze ich einfach nur da und beobachte die ein- und auslaufenden Schiffe.
Zurück bei Matthew ist mittlerweile sein Besuch eingetroffen. Zu Viert werden wir den Tag ausklingen lassen und ich bin gespannt, wie so ein deutsch-amerikanisch-schwedisch/schweizer Abend aussehen wird.
Tag 10: Göteborg - Dunevallen
94,7 km
Gesamt: 1001,5 km
Was für ein schöner und geselliger Abend in dieser kleinen multikulturellen Runde. Matthew als Amerikaner, Gianni als Schweizer und Mikaela als Schwedin. Erst in so einer Runde bekommt man einen viel tieferen Einblick in ein Land, das Leben, die Menschen und die Politik. Auf meine Frage, wie sie die langen Winter überstehen, antworten sie nur, " Wir machen es uns gemütlich, zünden Kerzen an, kochen gemeinsam." Ich bin tief beeindruckt und nehme aus diesen Gesprächen so unglaublich viel für mich mit.
Nach einem Kaffee und einem kurzen Halt beim Supermarkt mache ich mich auf den Weg. Einige Kilometer geht es durch das Randgebiet von Göteborg, was natürlich nicht sonderlich reizvoll ist.
Nach nur 15 Kilometer wechselt der Sverigeleden bei Hjällbo auf einen wunderschönen Bahntrassen- Radweg. Während in Göteborg noch alles trocken war, ist hier der Asphalt bereits wieder nass. Es muss also vor kurzem erst geregnet haben. Unterwegs sammle ich noch schnell einen Geocache ein. Hier hat sich jemand ein wenig Arbeit gemacht und den ganzen Bahnradweg entlang Dosen gelegt. Mir reicht eine.
Der ehemalige Bahndamm steigt nur ganz langsam an und mit ein wenig Wind von hinten komme ich hier mit 23-24 kmh gut voran. Mittlerweile zeigt sich auch die Sonne wieder ein wenig.
Mit der Ortschaft Björboholm erreiche ich den Mjörn, ein recht großer See mit mehreren kleinen Inseln, der zum Paddeln einlädt. Aber für mich geht's weiter. So schön dieser Bahnradweg auch ist, die immer wieder eingebauten Schikanen erinnern mich ein wenig an Deutschland. Ständig muss man sich durch die Absperrungen durchschlängeln. Nach 30 Kilometer ist der Spaß in Sjövik leider wieder vorbei und es geht auf der Straße weiter. Es ist zwar nicht viel Verkehr, aber sonderlich schön ist es trotzdem nicht. Aber das Gute, es kommen regelmäßig Bushaltestellen, die ich auch schon wieder brauche. Da ich gut in der Zeit liege beschließe ich, den Schauer abzuwarten.
Leider kommt auf meiner Route auf die letzten Kilometer kein Supermarkt mehr und so muss ich einen Abstecher nach Älvängen machen. Ich decke mich mit dem Nötigsten ein, auch wenn ich noch knapp 30 Kilometer vor mir habe.
Kurz nach Skepplanda dann ein kleines Café mit einer Gårdsbutik. Ich bleibe stehen, trinke einen Kaffee und bin erstaunt, wie viele Leute hier halten, wo ich doch seit Göteborg das Gefühl habe, hier her verirrt sich niemand. Ich genieße die kurze Pause. Danach ein schneller Blick in den Himmel, der wie immer nichts Gutes verheißt. Und wie soll es anders sein? 20 Minuten später sitze ich wieder in einer Bushaltestelle. Aber es könnte schlimmer sein. Gegenüber gibt es ein 24h Foodshop mit einer Eisfahne davor. Aber zu früh gefreut, ich komme nicht rein. Es gibt wohl eine spezielle Karte dafür, die ich nicht habe. Schade.
Man müsste eigentlich meinen, ich hab das Wetter hier langsam durchschaut. Doch immer wieder bekomme ich gezeigt, wer wen in der Hand hat. Oft lässt der Regen erstmal ein wenig nach, bevor nochmal alles vom Himmel kommt, was nur runter geht. Wie oft hab ich mich schon in Sicherheit, oder eher in Trockenheit, gewägt, um dann doch noch voll geduscht zu werden. So auch heute wieder.🙄
Diese Nacht werde ich bei Sergej und seiner hochschwangereren Frau verbringen. Bis zur letzten Minute war nicht klar, ob ich kommen kann, da ihr Baby bereits letzten Samstag hätte zur Welt kommen sollen. Aber ich habe Glück, der Zwerg wartet noch. Die letzten Kilometer bis zu ihrem Haus ziehen sich allerdings. Die Straße wird nach einiger Zeit zu einem Schotterweg und es kommen nur noch vereinzelt ein paar Häuser. Auch geht es hier wieder ständig hoch und runter. Am Ende stehe ich vor einem gelben Schwedenhaus oder besser gesagt einer halben Baustelle. Das, was sich außen schon zeigt, setzt sich drinnen fort. Das Chaos schlechthin. Sergej zeigt mir kurz das Haus und erklärt alles. Ganz wichtig, die Küchentür muss verschlossen bleiben, dort befinden sich die Katzen und die sollen nicht ins restliche Haus. Nicht nur eine, nicht zwei, auch keine drei, sondern FÜNF. Nach der Pet Area auf der Fähre dachte ich eigentlich, es kann nicht noch schlimmer kommen. Nach der Hausführung zweifle ich kurz an mir, ob ich was falsch verstanden hab. Meinte er mit "Baby bekommen" wirklich seine Frau oder eher Katzennachwuchs? Im ganzen Haus finde ich nicht ein Detail, was auf ein baldiges Baby hindeuten würde. Doch der dicke Bauch seiner Frau, die ich nun kennenlerne, beseitigt die Fragezeichen.
Unter der Treppe das nächste Rätsel - zwei Rennräder. Bei sieben Kilometer Schotterweg bis zum eigenen Haus ist das wohl eher nur Deko.
Gefühlt ist jedes Zimmer ein Abstellraum. Zumindest optisch. Dennoch, die beiden sind wieder unheimlich gastfreundlich. Im bekomme alles, was ich brauche und habe am Abend sogar frisch gewaschene Klamotten. Alles andere muss man einfach ein wenig ausblenden 🙈
Am Abend mache ich noch einen kleinen Spaziergang durch das Häggsjöryrs Naturreservat, das sich direkt vor der Haustür befindet. Gern hätte ich noch den dortigen Geocache geloggt, aber nachdem ich ihn augenscheinlich unter dem Hintern eines Schafes herausziehen müsste, lasse ich ihn dann doch lieber dort, wo er ist.
Auf dem Rückweg bin ich kurzzeitg etwas perplex, als mir tatsächlich ein kleiner Bus entgegen kommt, wo ich eigentlich dachte, ich bin hier mitten im Nirgendwo. Immer wieder erstaunlich, was in anderen Ländern alles geht. Und bei uns gibt es nichtmal eine Busverbindung zwischen Wernberg und Hirschau.
Tag 11: Dunevallen - Falköping
110,2 km
Gesamt: 1111,7 km
Am Abend sitze ich mit Sergej noch in der Küche und lasse mir erzählen, was ihn nach Schweden verschlagen hat. Gebürtig ist er aus Kasachstan, war aber als Austauschschüler ein Jahr in Nürnberg. Wir checken das Wetter und er schickt mir eine App, die angeblich richtig vorhersagt. Ich bin gespannt.
Mein Tag beginnt heute sehr früh...zu früh. Da ab 10 Uhr Regen angesagt ist, ich aber keinen Tag bei Sergej und Ann im Haus sitzen möchte, starte ich bereits um 5 Uhr. Ich will so viele Kilometer wie nur möglich im Trockenen schaffen. Knapp über 100 werden es bis Falköping sein. Sergej hilft mir schnell beim Packen und pumpt nochmal Luft auf. Da er früher als Fahrradmechaniker gearbeitet hat, erzähle ich ihm noch kurz vom Knacken meines Sattels, was immer wieder mal zu hören ist. Und wie vermutet, liegt es an der Sattelklemme. Kurzerhand holt er eine Neue aus seiner Fahrradwerkstatt und montiert sie mir ans Rad. Dankbar und erleichtert, dass dieses Problem jetzt auch erledigt ist, verabschiede ich mich von ihm. Er macht mir schnell noch den Elektrozaun auf, der vor Wildschweinen schützen soll ( der Grund, warum ich heute mal nicht laufe 🙈) und schon mache ich mich auf den Weg. Bei einem Blick in den Himmel kann man sich gar nicht vorstellen, dass es später wirklich so schlecht werden soll.
Ich komme zügig voran und die wellige Strecke lässt sich gut fahren. Laut Karte soll nach 60 Kilometern ein Supermarkt kommen. Das wäre gegen 8 Uhr. Passt perfekt. Was ich allerdings nicht bedacht habe, viele Märkte öffnen hier erst um 9 oder manche auch erst um 10. So auch dieser. Aber ehrlich gesagt traue ich mich sowieso nicht, jetzt eine Pause zu machen.
Kurz vor 9 Uhr ist es dann soweit.... Es beginnt zu Regen. Nicht stark. Wenn das so bleibt, schaffe ich die 20 Kilometer bis Falköping ohne komplett nass zu sein. Doch es sollte natürlich wiedermal anders kommen. Bereits kurz danach wird der Regen stärker und kommt mit dem Wind direkt von vorn. Einfach nur nervig und anstrengend. Bis Falköping bin ich wieder komplett nass. Ins Vandraheim kann ich erst ab 14 Uhr, also besorge ich mir im Supermarkt was zum Frühstücken und versuche die Zeit dort im Trockenen irgendwie zu überbrücken . Ich habe mich schon lang nicht mehr so sehr auf eine warme Dusche gefreut.
Netterweise darf ich bereits eine Stunde früher einchecken. Optisch ist das Vandraheim zwar nicht sehr ansprechend, aber alles ist ordentlich und sauber. Sogar mein Rad darf ich mit aufs Zimmer nehmen.
Den Schlechtwetternachmittag nutze ich um ein wenig Schlaf nachzuholen.
Etwas später will ich in einem trockenen Moment zumindest einen kleinen Eindruck von Falköping bekommen.
Viel zu sehen gibt es nicht und überhaupt hat man eher das Gefühl, man spaziert durch Weiden Stockerhut. Das graue Wetter lässt die Stadt zusätzlich trostlos erscheinen. Immerhin gibt es noch einen Geocache, den ich loggen kann und solangsam bekomme auch ich einen Blick für die Verstecke. ✌️
Im "Zentrum" dann ein Intersport. Das Highlight von Falköping. Auch für mich
Am Ende bin ich fast 200€ ärmer, dafür aber um eine hoffentlich gscheite Regenjacke reicher. Wenn dafür ab jetzt das Regenschirmgesetz greift und nur noch die Sonne scheint, war es gut investiertes Geld.
Zurück im Hostel treffe ich auf eine andere Bikepackerin. Sie kommt aus Mainz und ist ebenfalls allein unterwegs. Wir tauschen uns ein wenig aus, über unsere Route und unser Leben. Okay.. vielleicht jammern wir auch gemeinsam ein wenig über das Wetter. Spätestens jetzt weiß ich, das Vandraheim war die richtige Entscheidung.
Am Abend dann ein weiterer kleiner Lichtblick als ich eine Nachricht von Matthew aus Göteborg entdecke, die mir einen ganzen großen Schub Selbstvertrauen in meine sprachlichen Fähigkeiten beschert .😊 An diesem Abend war ich einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Von der Begegnung mit dieses Menschen werde ich noch einige Zeit zehren.
Tag 12: Falköping - Wassbacken
90,1 km
Gesamt: 1201,8 km
Der Tag startet bedeckt und neblig. Falköping wirkt dadurch nicht unbedingt schöner. Wenn man allerdings durch die Wohnsiedlungen am Stadtrand läuft, sieht man zumindest einige schöne Einfamilienhäuser.
Ich nutze die Küche im Hostel noch für einen schnellen Kaffee, bevor ich mich auf den Weg in Richtung Vikensee mache. Mutig wie ich bin, heute mal ohne Regenoutfit. Die erste halbe Stunde ist frisch, vor allem auch weil es recht häufig bergab geht.
Der Sverigeleden führt auf diesem Teil der Strecke durch das Hornborgasjöns Naturreservat. Gleich daneben der Hornborgsjön, ein recht weitläufiger See.
Schon nach wenigen Kilometer bekomme ich Probleme mit der Schaltung. In manchen Positionen muss ich den Schalthebel 2-3x drücken, bevor die Kette auf das nächste Ritzel springt. Mittlerweile kommt ab und zu die Sonne raus, dadurch bleibe ich relativ gelassen. Da ich sowieso Frühstückspause machen will, nutze ich die Zeit und schreibe Sergej an. Ich schildere ihm mein Problem und es kommt schnell eine Antwort. Also steht er schon mal nicht im Kreissaal. Glück gehabt. Gemeinsam gehen wir zwei mögliche Ursachen durch. Entweder ein Problem mit dem Umwerfer hinten oder dem Schaltzug. Schnell merken wir, das wir per Ferndiagnose am Telefon nicht weit kommen. Ich schicke ihm noch ein Bild vom Umwerfer, er mir einen Link, wie man die Schaltung einstellt. Da traue ich mich aber nicht ran, am Ende geht gar nichts mehr. In Skövde gibt es eine Fahrradwerkstatt, wofür ich allerdings meine Route ändern müsste. Hilft nichts.
Ich fahre weiter und erinnere mich daran, dass man auch an den Schläuchen des Seilzuges ein wenig hin- und herziehen könnte. Zumindest hab ich das schon ein paar Mal gesehen. Da ich sowieso auf dem Weg zur Werkstatt bin, probiere ich es aus. Richten können die es dort immer noch, falls ich es komplett verstelle. Aber es scheint was zu bringen. Zumindest lassen sich alle Gänge für eine Weile wieder relativ gut durchschalten. Ich vertage den Werkstattbesuch erstmal und bleibe auf meiner geplanten Route. Doch die Freude währt wiedermal nur kurz. Immer wieder hängen die Gänge, teilweise komme ich gar nicht mehr auf die letzten drei Ritzel. Das Ziehen an den Schläuche verbessert das Ganze immer wieder ein wenig aber auf Dauer ist das keine Lösung. Die nächste Möglichkeit zum Reparieren wäre morgen in Askersund. Bis dahin muss es so gehen.
Trotz der Schwierigkeiten mit dem Rad, ist die Landschaft heute ein Traum. Der Radweg verläuft auf wunderschönen , abgelegenen Straßen, die sich malerisch durch ein kleines Tal schlängeln. Man durchfährt ein Naturreservat nach dem Anderen. Überall kleine Schwedenhäuser, Steinmauern und Kühe auf der Weide. Immer wieder hat man das Gefühl, sich mitten in Astrid Lindgrens Geschichten zu befinden.
In Odensåker kommt mir ein Rennradfahrer entgegen. Ich nutze meine Chance und frage ihn, ob er Ahnung von Rädern hat. Ein wenig , und so erzähle ich ihm von meinem Problem. Wie erwartet, kann er mir leider nicht helfen, er sieht die Ursache aber auch am Schaltzug. Er empfiehlt mir eine Werkstatt in Mariestad, was aber nicht auf meiner Route liegt. Kurz nachdem wir uns verabschiedet haben, kommt mir meine Lenkertasche in den Sinn. Drückt hier vielleicht ein Verschluss auf die Schläuche? Ich lockere den Spanngurt etwas. Tatsächlich habe ich das Gefühl, es wird ein wenig besser. Doch vollständig behoben ist das Problem nicht. Immer wieder gehen einige Gänge nur schwer oder gar nicht. Obendrauf springt nun in den kleinsten Gängen die Kette immer wieder mal. Ich erinnere mich an Leikis kleinen Fahrradkurs vor ein paar Wochen. Hinten am Umwerfer gibt es eine Art Verschluss, den man ein wenig drehen kann, wenn die Kette springt. Aber gut merken, in welche Richtung du drehst, damit du es zur Not wieder rückgängig machen kannst, liegen mir seine Worte im Ohr. Ich probiere es aus. Es hilft. Und so fahre ich dann irgendwann einfach weiter, ziehe immer ein wenig an den Schläuchen und freue mich einfach über die tolle Landschaft und dass endlich mal die Sonne scheint. Ich bin ja gespannt, wie lang ich mit meiner Rumpfuscherei am Rad noch so durchkomme. Aber wahrscheinlich geht das jetzt auch eine Woche so weiter, bis aus dem Nichts wieder ein kleiner Fahrradengel auftaucht, der mir hilft 🙏
Ein kurzer Supermarktstopp in Tidan und dann geht's auf die letzten Kilometer zum Campingplatz. Hinter mir, oh Wunder, schon wieder dunkle Wolken. Ich checke auf einem kleinen Stellplatz direkt am Götakanal ein. 13€ für eine Nacht, dafür gibts eine wunderschöne Wiese mit Blick auf den Kanal. Es vergeht ungefähr eine Stunde, dann fängt es an zu Gewittern. Und dabei war ich so optimistisch, dass der Kauf der Regenjacke für das tolle Wetter heute verantwortlich ist. Zu früh gefreut. Ich bestelle einen Kaffee, setze mich auf die Terrasse und warte den Regenschauer ab. Die immer wieder vorbeifahrenden Boote lassen keine Langeweile aufkommen.
Mittlerweile bin ich komplett im Bikepackerleben angekommen. Es ist selbstverständlich geworden, am Morgen aufs Rad zu steigen. Die Abläufe werden routinierter und ich habe für mich einen guten Rhythmus gefunden. Insofern das Wetter mitspielt, radel ich meine 4-5 Stunden und suche mir dann eine Möglichkeit zum Übernachten. So kann ich die Nachmittage nutzen um ein wenig spazieren zu gehen, die Gegend zu erkunden und etwas auszuruhen.
Der Götakanal ist mein ganz persönliches Schweden-Highlight. Schon vor zwei Jahren hat mich diese Gegend unheimlich begeistert. Die kleinen Boote, die nur ganz langsam auf dem Kanal fahren dürfen, die vielen kleinen Schleusen, welche größtenteils noch per Hand betrieben werden und die kleinen schwedischen Wärterhäuschen am Rand... Hier hat man das Gefühl, die Zeit ist stehen geblieben. Und so sitze ich auch heute wieder hier am Kanal , schaue aufs Wasser und warte auf die Juno.
Tag 13: Wassbacken - Askersund
78,8 km
Gesamt: 1280,6 km
Am Abend hab ich die Gewitterpausen für einen Spaziergang am Kanal genutzt. An Schlafen war später lang nicht zu denken. Ich weiß nicht, ob es Campingplatzgäste oder Einheimische waren, die weit nach 23 Uhr ihr Glück im Angeln versucht haben. Ständig stapfte einer gefühlt mitten durch mein Zelt. Dasselbe ging am Morgen 4:30 Uhr weiter. Gegen halb 6 gebe ich auf und starte mit einem kurzen Lauf am Götakanal in den Tag. Die Juno kam wieder nicht vorbei , aber ich probiere es einfach irgendwann nochmal.
Die Nacht war relativ angenehm, dafür sind die ersten Kilometer auf dem Rad wieder recht frisch. Es ist zwar trocken, aber bewölkt. Der nächste und einzige Supermarkt auf der Strecke ist 20 Kilometer entfernt, öffnet aber erst 9 Uhr. So muss ich eine halbe Stunde überbrücken und suche mir währenddessen eine Übernachtungsmöglichkeit für den heutigen Tag. Mein Favorit wäre ein Wanderheim nördlich von Askersund. Sicherheitshalber rufe ich an, da es nicht das erste Hostel wäre, was voll belegt ist. Als hätte ich es geahnt, es ist ausgebucht. In der Nähe gibt es keinen Campingplatz und so bleibt mir als Tagesziel nur Askersund. Gern wäre ich ein wenig weiter gefahren, wenn es schon nicht regnet. Ich korrigiere, wenn es schon bis Nachmittag nicht regnet.
Der Sverigeleden führt mich heute durch den Teviden Nationalpark. Landschaftlich komplett anders als gestern, aber mindestens genauso schön. Es geht immer ein wenig hoch und runter, überall zweigen Wanderwege ab. Manche werfen jedoch Rätsel auf. Aber hey, wer mag da nicht gern wandern, im idyllischen Schweden.
Auch einige Bikepacker kommen mir hier wieder entgegen. Erst kurz vor Askersund verlasse ich den Nationalpark. Am Ortseingang ein großes Schild, "Heute Antikmarkt". Ein Antikmarkt ist in Schweden einfach nur ein Flohmarkt. In jeder Gasse stehen Händler und versuchen ihren Plunder an die Touristen zu verkaufen. Mit dem Fahrrad ist fast kein Durchkommen. Ich beschließe, mich erstmal auf dem Campingplatz anzumelden, zu duschen und mich dann nochmal ohne Gepäck in die Menge zu stürzen. Der Himmel bereits wieder voller dunkler Wolken. Auf dem Weg in die Stadt weist ein Schild zum "Agropool". Das die Schweden so etwas brauchen, verstehe ich langsam.
Der Platz liegt direkt am Ufer des Vättern. Es geht ein wenig Wind und so wird zumindest mein Zelt wieder trocken. Ich hab anscheinend auch den richtigen Tag erwischt. Jeden Samstag in den Sommermonaten ist die Sauna für Gäste kostenlos. Der Abend ist gerettet.
Zurück auf dem Platz baut neben mir ein Pärchen aus der Nähe von Hannover ihr Zelt auf. Schnell kommen wir ins Gespräch. Seit einem halben Jahr sind sie mit ihren Rädern schon unterwegs, durch Belgien, Frankreich, Italien, von dort mit dem Zug nach Riga, weiter durch Lettland und jetzt über Göteborg zurück nach Deutschland. Und wo möchte ich hin? Hm.. einfach nur ein bisschen durch Schweden, antworte ich kleinlaut und fühle mich plötzlich gar nicht mehr so mutig ..
Den Regenschauer nutze ich um in der Küche mein Handy zu laden. Mit mir ein lesbisches Pärchen aus Deutschland. Kurz tauschen wir uns ein wenig über den diesjährigen schlechten Sommer aus, bis jeder wieder in seine eigene Sache vertieft ist. Nachdem sie allerdings 30 Minuten über nahezu jeden Campingplatzgast schimpfen, muss ich gehen. Das ist mir dann doch zu viel deutsche Mentalität im Land der zufriedenen und entspannten Menschen.
Im fahre noch kurz zum Supermarkt und decke mich fürs Abendessen ein. In Schweden gibt es überall diese Süßigkeitenbuffets, in denen man sich seine Mischungen selbst zusammenstellen kann. Für mich jedes Mal das Paradies. Da ich aber nur begrenzte Transportmöglichkeiten habe, kann ich die Tüten immer nur mit einer kleinen Auswahl füllen. Heute waren es einige wenige Lakritzkugeln im Himbeermantel. An der Kasse wird die Tüte anschließend gewogen.
Error. Nochmal runter, wieder rauf. Error. Die Tüte ist zu leicht, erklärt mir der Kassierer und drückt sie mir wieder in die Hand. " A little Swedish gift from me." , lächelt er.
Und das sind sie , die kleinen Sonnenscheinmomente , die so manche trübe Minute ganz schnell vergessen lassen.
Tag 14: Askersund - Katrineholm
115 km
Gesamt: 1395,6 km
Am Abend sitze ich noch lang mit Johannes und Gesa, den anderen beiden Radfahrern, in der Küche. Gesa studiert Grundschullehramt und Johannes ist Tischler. Da gehen die Gesprächsthemen natürlich nicht aus. Nur schwer finden wir an diesem Abend ein Ende. Da ich bisher erst ein mal den Gaskocher zum Kaffee kochen benutzt habe und auch in Zukunft meist eine Kochgelegenheit vorhanden sein wird, gebe ich ihnen eine meiner Gaskartuschen. Die Beiden brauchen sie dringender und ich habe 500 g weniger Gepäck. Platz für mindestens zwei Tüten Gummibären.
Die Nacht ist klar, dementsprechend kalt wird es. Gegen 1 Uhr ziehe ich mir die Daunenjacke an um wenigstens noch bisschen Schlaf zu bekommen. Am Morgen zeigt das Thermometer nur 9 Grad.
Der Tag startet mit Nebel, aber die Sonne versucht sich durchzukämpfen. Ab 15 Uhr sagt es in Katrineholm, meinem heutigen Ziel, Regen an. 7 Uhr bin ich abfahrbereit, mir bleiben also 8 Stunden für 110 Kilometer. Da sollte nichts schief gehen. Trotz trockenem Wetter starte ich mit langer Hose und.... Handschuhen 🙄 Aber irgendwas ist ja immer.
Der Sverigeleden führt mich heute erneut durch eine wunderschöne Landschaft. Oft verläuft er auf breiten Fahrwegen durch den Wald. Immer wieder kommt man an kleinen Bauernhöfen oder typischen Schwedenhäusern vorbei. Kaum ein Auto, kein Mensch weit und breit. Nur die Kühe und Pferde auf ihren Weiden schauen mich ein wenig verdutzt an. Etwas verwundert bin ich allerdings über die Schilder auf solch verlassenen Straßen. An den wenigen Kreuzungen habe ich immer Vorfahrt. Mich würde tatsächlich mal interessieren, ob hier schon jemals zwei Autos aufeinander getroffen sind, sodass die Vorfahrtsschilder nötig sind.
Anders als die letzten Tage, reiht sich heute ein schöner See an den Anderen. Wenn ich daran denke, wie lang wir in den vergangenen zwei Jahren teilweise nach einem schönen Platz für die Nacht gesucht haben, ist es mit dem Rad nahezu ein Kinderspiel. Ich lege mir deshalb eine Karte an und vermerke mir dort all die schönen Stellplätze. Denn man weiß ja nie, ob man nicht irgendwann mit einem Camper nochmal in diese Gegend kommt.
Etwa 25 Kilometer vor Katrineholm habe ich mir gestern eine alternative Route zum Sverigeleden geplant, da die Strecke sonst zu lang geworden wäre. Großer Fehler.
Die ersten 5 Kilometer geht noch alles gut, dann stehe ich vor einem Abzweig.
Mein geplanter Weg ist so gut wie zugewachsen. Mist.
Eine andere Straße im besseren Zustand würde weitergehen.
Ein kurzer Blick auf die Karte - Glück gehabt.
Der Weg führt nach drei Kilometern wieder auf eine Straße. Allerdings beschert mir die ganze Aktion fünf Extrakilometer. An solch langen Tagen wie heute hält sich die Freude darüber in Grenzen.
Mittlerweile ist es 12:45. Gegen 14 Uhr sollte ich in Katrineholm sein, wenn nichts Unvorhergesehens mehr dazwischen kommt.
Es dauert keine halbe Stunde, dann spüre ich die ersten Tropfen. Hat hier tatsächlich jemand geglaubt, der Wetterbericht würde zum ersten Mal stimmen? Was für ein blöder Anfängerfehler. Langsam sollte ich es doch besser wissen. Zum Glück regnet es sich erst langsam ein, sodass ich , anders als die letzten zwei Wochen, nicht innerhalb von 5 Minuten komplett nass bin.
Kurz vor 2 checke ich im Wanderheim ein und bin froh, dass ich die Nacht im Trockenen verbringen kann, denn es soll bis in die frühen Morgenstunden durchregnen. Bei solchen Vorhersagen stimmt der Wetterbericht dann komischerweise dann doch immer. Auch hier darf ich mein Rad wieder mit aufs Zimmer nehmen.
Trotz des stärker werdenden Regens fahre ich noch schnell in den Supermarkt. Und heute ist es soweit, es gibt das erste Mal seit 2 Wochen geräucherten Fisch. Jedes Mal hab ich mit weinenden Auge daran vorbeigehen müssen. 700 g Lachsforelle schaffe ich allein dann doch nicht. Aber hier finde ich endlich einen Supermarkt, in dem es kleine Portionen gibt.
Das wäre er dann wieder, mein Sonnenscheinmoment des heutigen Tages.
Oder vielleicht ist es auch das Eis, dass ich mir mitnehme um wenigstens ein bisschen Gefühl von Sommer zu haben.
Tag 15: Katrineholm - mitten im Nirgendwo
36,7 km
Gesamt: 1432,37 km
Der restliche Tag gestern noch kurz zusammengefasst: Dauerregen von 14 Uhr bis irgendwann nach Mitternacht. Am Ende zwei heftige Gewitter, dazwischen immer wieder ein vorbei donnernder Zug. Aber wer braucht schon Schlaf 🫣
In dem ganzen Hostel waren wir nur 4 Gäste. Ein wenig verlassen fühlt man sich ja schon.
Da gestern Nachmittag nicht mal ansatzweise ein Spaziergang in die Stadt möglich war, hole ich das beim Laufen nach. Die ersten Kilometer sind wunderschön, so führen sich mich durch kleine Wälder, vorbei am See und einem schönen Gutshaus. Das Zentrum muss man jedoch nicht gesehen haben.
Für heute habe ich mir Eskilstuna als Ziel ausgesucht, da ich gut in der Zeit liege und nicht schon ans Meer möchte. Der Morgen ist ungewöhnlich warm. Bereits halb 7 zeigt das Thermometer 18 Grad. Dennoch ist alles nass und so müssen die Regenüberschuhe her. Ein kurzer, wenn auch eigentlich überflüssiger Blick aufs Wetter. Starker Regen unterwegs ab 10 , in Eskilstuna nur ein leichter, kurzer Schauer ab 13 Uhr. Also heißt es wieder, so weit wie möglich trocken voran kommen. Diese Reise besteht eigentlich eh nur aus zwei Mottos.
A: Sei schneller als der Regen hinter dir
B: Sei vor dem Regen, der dir entgegenkommt, am Ziel .
Frühstück gibt es heute in einer Bushaltestelle. Weit und breit keine Bank und selbst wenn, alles ist nass.
Kurz nachdem ich weiterfahre, wieder Probleme mit der Schaltung. Diesmal bringt auch alles ziehen und drehen nichts. Die größten zwei Gänge gehen nun gar nicht mehr. In der Hoffnung, dass es etwas bringt, mache ich den wohl größten Fehler überhaupt... Ich drehe an dem schwarzen Verschluss am Lenker. Danach lässt sich hinten gar nichts mehr bewegen. Die Schaltung ist im größten Gang, ich kann nur noch vorn zwischen den zwei großen Ritzeln wechseln. Ein kurzer Blick auf den Tacho... Der nächst größere Ort ist mein heutiges Ziel - 50 Kilometer entfernt. Also Notruf nach Deutschland. Per Ferndiagnose kommen Leiki und ich schließlich zu der Erkenntnis, dass das Seil wohl einfach nur wieder auf Zug gebracht werden muss. Fotos schicken geht ausgerechnet an dem Ort nicht. Zu wenig Handyempfang. Das gibt's in Schweden so gut wie nie. Ich fahre zwei Kilometer weiter, in der Hoffnung, das wenigstens die Bilder raus gehen. Auf der linken Seite komme ich an einem Haus vorbei, davor parkt ein Wagen einer Handwerkerfirma. Ich versuche mein Glück, klingel und frage ob er Ahnung von Fahrrädern hat. I'm not sure, but i come down. Schon verloren. Immerhin gibt er mir den Tipp, es 500 m weiter bei einer Werkzeugfirma zu probieren. Zum Glück kommen nur leichte Berge, aber auch die machen im größten Gang keinen Spaß. Nächster Versuch. Vier Männer im Frühstücksraum. Kennt sich jemand von euch mit Fahrrädern aus? Sie schauen sich alle nacheinander an ,besprechen sich 2 Minuten auf schwedisch ,dann steht der Jüngste auf. Wenn niemand was kann, muss wohl der Lehrling ran. Ein wenig Deutschland in Schweden. Er schaut kurz auf mein Rad. Schon an seinem Gesichtsausdruck weiß ich, der hat noch weniger Ahnung als ich. Ich bedanke mich trotzdem und versuche Kilometer für Kilometer weiter zu kommen. Ausgerechnet jetzt beginnt es wieder zu regnen. Weit und breit erstmal kein Haus, keine Bushaltestelle, kein Unterschlupf. Währenddessen wieder eine Nachricht von Leiki mit einem weiteren Lösungsversuch. Ich soll an dem Versteller mal so lange drehen, bis er wieder länger wird und so vielleicht wieder Zug auf das Seil kommt. Ich versuche es, allerdings ohne Erfolg. Ein Bauernhof auf der rechten Seite ist meine nächste Hoffnung. Ich finde einen Bauern aber auch er kann nicht helfen. Er bringt dann letztendlich nur das ans Tageslicht, was wir vermutet haben. ..das Schaltseil ist gerissen.
Hier und an dieser Stelle komme ich mit dem Fahrrad nicht mehr weiter. Eskilstuna 50 Kilometer entfernt. Fährt hier ein Bus? Ungläubig schaut er mich an. Hab ich die Frage grad wirklich gestellt?
Er bleibt noch 5 Minuten an meiner Seite, während ich überlege, wie und wer mir helfen könnte. Da ich den Eindruck habe, er fühlt sich verpflichtet mir Beistand zu leisten , bedanke ich mich und versichere ihm, dass ich zurecht komme.
Und dann stehe ich vor dem Bauernhof und überlege, welche Möglichkeiten ich hab. Vor ein paar Wochen hätte ich an dieser Stelle vermutlich ein wenig die Nerven verloren. Aber ich bleibe für die Umstände entsprechend gelassen. Als ich mich für diese Reise entschieden hab, war mir bewusst, dass so eine Situation kommen kann. Und das es immer eine Lösung geben wird, auch wenn ich sie vielleicht nicht sofort sehe. Und darauf vertraue ich. Only quitters quit - drei Worte, die mir aus dem vergangenen Jahr hängen geblieben sind.
In dem Moment kommt mir meine Cousine in den Sinn. Hat sie nicht gesagt, dass sie heute von Stockholm nach Örebro fahren? Noch bevor ich zu Ende denke, greife ich zum Telefon. Ihr müsst mich retten, höre ich mich nur sagen. Ich erkläre ihr wo ich bin, was passiert ist und ob sie mir helfen können. Ich habe tatsächlich Glück. Sie sind 50 Kilometer entfernt und machen sich auf den Weg zu mir. Es wird zwar sportlich, da das Auto voll beladen ist und bereits 4 Räder auf dem Fahrradträger, aber sie fahren jetzt erstmal zu mir.
Ich sag nur... Fahrradengel 😇
Schnell wird alles ein wenig umgeladen, das kleinste Fahrrad in den Kofferraum gebastelt, mein Gepäck verstaut und mein Rad auf dem Fahrradträger montiert. Dann geht's auch schon in Richtung Estilkuna. Auf der Fahrt kann ich schon wieder über alles lachen. Hat hier echt wer geglaubt, mich in die Knie zwingen zu können ? 💪
Ehrlicherweise bin ich einfach nur froh, dass ich die erste Fahrt per Anhalter in meinem Leben noch ein wenig vertagen kann. 🙈
Gestern Abend bekam ich noch die Zusage von Johan , einem Warmshowers- Host, dass ich die Nacht bei ihm verbringen darf. Und so steuern wir zuerst seine Adresse an um mein Gepäck auszuladen, bevor es zur Fahrradwerkstatt geht. Sicherheitshalber habe ich dort vorher angerufen und mich schon mal angekündigt. Mein Zeug lade ich übrigens mitten im größten Gewitterschauer aus. Die Leute in der Werkstatt alle wiedermal total nett. Ich erkläre dem Mechaniker, dass ich noch nicht nach Hause möchte, er solle mir bitte helfen. Er lacht, ich lache.. und in dem Moment weiß ich, er wirds richten. Kurze Zeit später kommt er mit dem gerissenen Seil zurück. Ich kann es dir reparieren. Wenn es fertig ist, bekommst du eine SMS. Mir fällt ein riesiger Stein vom Herzen, auch wenn es bis morgen dauert.
Ich verabschiede mich von meiner Cousine, die heute zur richtigen Zeit am richtigen Ort war. Und dann fahren sie davon, meine Fahrradengel. Hoffentlich der letzte, den ich auf dieser Reise brauche.
Und da wäre er übrigens wieder... Mein Sonnenscheinmoment 🙂
Den restlichen Nachmittag schlage ich in der Stadt tot. Übrigens mache ich dort das, was ich sonst den ganzen Tag mit dem Rad mache... Ich renne von einem Unterstand zum nächsten. Erst schützen mich kleine Holzhäuser auf einem Spielplatz vor dem Regen, dann verschiedene Hauseingänge, am Ende ein uberdachter Platz im Park, wo ich eigentlich nur einen Geocache suchen wollte. 3x wage ich mich aus meinem Unterschlupf hervor. 3x laufe ich nach 200 m wieder zurück. Und dabei sollte es in Estilkuna eigentlich gar nicht so sehr regnen.
Am Ende sitze ich 2 Stunden bei Willys, einem großen Supermarkt. Dort gibts Essen, eine Toilette, WLAN und es ist trocken. Was will man mehr an so einem Tag wie heute.
Irgendwann traue ich mich dann doch wieder nach draußen und es wird sogar ein wenig freundlicher. In einem Park überholt mich schließlich von hinten ein Jogger mit freiem Oberkörper. Arme braun, Nacken braun, nur der Rücken ist weiß. Anscheinend scheint hier doch ab und zu mal die Sonne.
Auf dem Rückweg zu Johan begegne ich einer anderen Bikepackerin, die gerade dabei ist, ihr Zelt und ihre Klamotten auf einer Bank zu trocknen. Ich fühle mit dir, spreche ich sie an. Zwei Sätze wechseln wir auf Englisch, dann merken wir beide, dass wir auch auf deutsch weiterreden können.
Ursprünglich kommt sie aus Erfurt, studiert aber gerade in Kopenhagen Bauingenieur. Hut ab.
Auch hier merke ich wieder, dass mich diese Reise verändert. Vor einem Viertel Jahr hätte ich keinen fremden Menschen auf der Straße angesprochen und schon gar nicht auf Englisch in einem anderen Land. Jetzt mache ich es einfach, ganz selbstverständlich, als wäre es nie anders gewesen. Mag das Wetter sein wie es will, am Ende werde ich nicht die Regentage in Erinnerung behalten, sondern all die Erfahrungen und die Veränderungen mitnehmen , die es in mir bewirkt hat.
Und tief im Inneren hoffe ich, dass sich am Ende manche Sachen einfach noch zum Guten wenden.
" Gib das, was Dir wichtig ist, niemals auf , nur weil es nicht einfach ist."
~ Albert Einstein ~
Tag 16: Ruhetag in Eskilstuna
Den Abend bei Johan und seiner Familie lassen wir gemeinsam auf der Terrasse ausklingen. Auch hier bin ich der erste Warmshowers-Gast, wie schon bei Matthew in Göteborg. Sie geben sich unheimlich viel Mühe, damit ich mich bei ihnen wohlfühle...und das tue ich. Johan zaubert eine total leckere Wokpfanne auf den Tisch und überraschenderweise gibt es kaum Verständigungsprobleme. Und so kommen wir vom Laufen und Skitourengehen übers Campen bis hin zu recht tiefgründigen Gesprächen. Am nächsten Morgen habe ich gewaschene Wäsche und kann mich in aller Ruhe auf meinen Pausentag freuen. Das Wetter lässt keine andere Wahl und da mein Rad eh nicht fahrbereit ist, bleibe ich heute noch in Eskilstuna.
Da ich für die zweite Nacht eine andere Unterkunft habe, heißt es für mich am Morgen erst einmal 7 Kilometer Fußmarsch, im Regen. Mein Gepäck lasse ich noch bei Johan. Erst wenn ich mein Fahrrad wieder habe, hole ich den Rest.
Zuerst steuere ich allerdings einen Ica Supermarkt an. Dort gibt's dann nicht nur Frühstück, ich decke mich auch mit einem 5er Pack Socken ein. Die Trockenen liegen noch bei Johan und auf nasse Füße bis heute Nachmittag habe ich keine Lust.
Zum Glück gibt es hier in den größeren Märkten überall Sitzgelegenheiten. Einigermaßen warm ist es auch. Und so sitze ich im Lotterieraum, frühstücke und verfolge Pferderennen im Fernsehen.
Noch einen Kilometer durch den Regen, dann bin ich bei meiner Unterkunft für heute. Recht verschlafen öffnet mir der Gastgeber die Tür. Hab ich mich in der Uhrzeit vertan? Ich schaue auf die Zeit , halb 11. Ab 10 Uhr hätte ich kommen dürfen. Also alles richtig gemacht. Ich bekomme eine eigene kleine Wohnung, mit Bad, Küche und einem tollen Schlafzimmer. Hier lässt sich so ein Regentag schon aushalten. Ich erkläre ihm, dass ich eigentlich mit dem Rad da wäre, es aber aktuell noch repariert wird. Gegen Mittag kann ich es abholen. Sofort bietet er an,mich später in die Stadt zu fahren. Ich soll einfach klingeln. Bei dem Wetter ist das ein Angebot, das ich nicht ausschlagen kann.
In der Küche finde ich eine Elektroheizung, die gleich mal meine Schuhe trocknen darf. Den restlichen Tag verbringe ich mit schlafen, weitere Tour planen und lesen. "Das Café am Rande der Welt" habe ich mir in Deutschland als eBook heruntergeladen, bisher kam ich allerdings noch nicht dazu, auch nur eine Seite davon zu lesen. Zeit wird's.
Kurz nach 12 rufe ich im Bikeshop an und frage, wann ich in etwa mein Fahrrad abholen kann. Es ist schon fertig, wir haben dir eine SMS geschickt.. Keine Ahnung, wo die gelandet ist, bei mir leider nicht.
Kurz darauf klingel ich also nochmal an der Haustür. Warum er mir schon wieder mit nacktem Oberkörper die Türe öffnet, darüber möchte ich jetzt nicht nachdenken.
15 Minuten später stehe ich im Fahrradladen und bin einfach nur erleichtert und glücklich, dass alles so reibungslos verlaufen ist. Für 22 Euro bin ich nochmal mit einem blauen Auge davon gekommen. Ich bedanke mich nochmals ganz herzlich fürs Reparieren und am Ende weiß ich nicht, wer sich hier mehr freut. Ich, über das reparierte Rad oder der tätowierte Mechaniker über die große Hilfe, die er für mich war.
Dienstags-Sonnenscheinmoment.
Ich hole von Johan mein Gepäck und mache mich auf den Weg zurück zu meiner Unterkunft. Mist, Luft hätte ich im Bikeshop gleich noch mit aufpumpen lassen können. Ein kurzer Blick nach unten - oh, Luft IST ja sogar aufgepumpt.
Männer die mitdenken sind einfach toll 👍
Der Nachmittag bringt dann einige kurz andauernden trockene Zeitfenster, sodass ich in den naheliegenden Biltema fahre. Für meine Lenkertasche will ich schon lang einen zweiten Spanngurt kaufen und hier könnte ich fündig werden. Ohne Gepäck kann man außerdem ein wenig entspannter durch die Gänge schlendern. Daneben gleich ein Dollarstore. Das sind diese Märkte, in die man rein geht obwohl man nichts braucht und einem vollem Wagen wieder raus kommt. Ikea-Phänomen.
So ein Regentag hat also auch etwas Gutes. Ich gehe nicht nur mit zwei zusätzlichen Spanngurten zurück, sondern auch mit neuen Flip Flops. Blöderweise habe ich die kaputten eingepackt und so musste ich mich jetzt über zwei Wochen damit arrangieren, dass ich sie alle paar Meter verliere.
Schade, dass es heute so nass ist. Der Wind weht recht heftig, noch dazu aus der richtigen Richtung. Könnte ich heute weiterfahren, würde ich quasi fliegen. Bisher hat er mich fast immer gut von hinten unterstützt und mir graut es davor, wenn das mal nicht mehr so ist. Aber vielleicht sollte ich aufhören meine Etappen zu planen und einfach immer mit dem Wind fahren. Im schlimmsten Fall buche ich am Ende eben einen Rückflug vom Nordkap 🤷🏼
Das Wetter wird auch am Abend nicht besser. Im Gegenteil
Ich erinnere mich an Giannis Worte über den langen und dunklen Winter in Göteborg. " Wir machen es uns gemütlich, kochen und zünden Kerzen an."
Tag 17: Eskilstuna - Västerås
80,1 km
Gesamt: 1526,9 km
Der Morgen startet mit SONNE. Ich probiere es nochmal und checke den Wetterbericht, der bis zum späten Vormittag Sonne vorhersagt , ab 15 Uhr Regen. Mittlerweile ziehe ich 1-2h ab, also Regen ab 13 Uhr. Für 80 Kilometer sollte das reichen. Ich packe meine Sachen, diesmal nicht ganz so regenfest wie sonst. Großer Fehler, wie ich später noch erfahren darf.
Ich komme kurz vor 7 Uhr los und habe auch heute wieder Wind von hinten. Er weht aus Südosten und das recht recht kräftig, sodass es sich die erste Stunde fast von allein fährt. Mein Ziel heute ist Västerås und weil es auf direktem Weg nur 50 Kilometer sind, folge ich dem Mälardalsleden. Er schlängelt sich am Ufer des Mälaren entlang und so hoffe ich auf ein paar schöne Ausblicke auf den See. Ich komme an 1-2 Picknicktischen vorbei, da es aber mit 12 Grad wieder recht frisch ist und ich nach 6 Kilometern noch nicht warm bin, fahre ich erstmal weiter. Dass man an schönen Rastplätzen nicht vorbei fährt , weil man glaubt, da kommen noch genug, ist auch etwas, das ich auf meiner Reise schleunigst noch lernen muss. Und so vergeht Kilometer für Kilometer und es kommt nichts mehr. Letztendlich suche ich so lange, bis ich wieder in einer Bushaltestelle lande, die Sonne wieder weg und es einfach nur kalt ist.
Ich frühstücke und werfe mal wieder einen Blick aufs Regenradar. Unverändert.. Regenwolken noch weit weg und weiterhin für 15 Uhr angesagt. Nach einer halben Stunde fahre ich weiter und komme genau 5 Kilometer, bis ich die ersten Tropfen spüre. Das kommt nur von den Bäumen, versuche ich mir einzureden. Ich bleibe stehen und schaue nochmal aufs Regenradar... Und tatsächlich, keine kleine Wolke, ein dickes Wolkenband direkt hinter mir. Wo kommt das so plötzlich her? Ein Blick auf die Uhr , es ist 9:15 Uhr. Also heißt es wiedermal alles regenfest machen. Heute morgen habe ich die neue und bessere Regenjacke tief in die Tasche gesteckt und mir gedacht, ich ziehe die Alte an. Sie hat eh schon ein Loch, wenn es zu warm wird, ziehe ich sie aus und entsorge sie gleich....
Weiter geht's... Immer wieder vorbei an kleinen Häfen und schönen Dörfern... Aber das Wetter zwingt mich zum Weiterfahren. Richtig nass werde ich zum Glück nicht , das Regenband ist größtenteils vor mir vorbei gezogen.
Allerdings macht nun der Radweg eine Wende und führt Richtung Osten. Zum ersten Mal bekomme ich den Wind frontal von vorn ab. Ein Vorgeschmack auf das, was an der Küste noch auf mich zukommt? Ich komme zwar voran, aber es ist mühsam.
Dennoch ist die Gegend hier wieder wunderschön. Gefühlt fährt man durch einen riesigen Reiterhof. Eine Pferdekoppel reiht sich an die andere, dazwischen immer wieder kleine Schwedenhäuser. Wie schön das bei Sonne wäre...
Gegen Mittag erreiche ich Västerås. Der Radweg führt durch den Industriehafen in die Stadt. Kein sonderlich schöner erster Eindruck , aber es soll eine schöne Altstadt geben. Im Zentrum muss ich für 200 m auf die Straße wechseln, da eine Baustelle den Radweg blockiert. Sofort werde ich angehupt. Wo bin ich denn hier gelandet? 500 m weiter die nächste Hupe, die ich höre. Sie ist zwar nicht an mich gerichtet, dennoch ungewöhnlich für Schweden. Sind hier alle so unentspannt?
Über Warmshowers kann ich mich heute bei Jackie einquartieren. Sie wohnt zwei Kilometer vom Zentrum entfernt, perfekt, um am Nachmittag das schlechte Wetter in der Stadt zu überbrücken.
Jackie wohnt in einem typischen alten Häuserblock, mit 8 Parteien, wie man sie auch bei uns kennt. An der Haustür angekommen, suche ich die Klingel. Ich finde nur einen kleinen Bildschirm mit Zahlentasten .Anscheinend muss man irgendeine Nummer wählen. Ich drücke ein wenig rum und verstehe das System letztendlich doch. Aus einer Liste muss man solange nach unten scrollen, bis man beim richtigen Namen angekommen ist und dann wird eine Art Telefonverbindung hergestellt. Wie kompliziert. Manchmal ist oldschool dann doch gar nicht so schlecht.
Ich komme gleich runter, teilt sie mir durch die Sprechanlage mit. Ich zweifle kurz, Jackie ist doch ein Mädchenname oder? Da war jetzt aber ein Mann am Türsprecher. Es dauert 4 Minuten, dann öffnet sie mir die Haustür. Jackie hat lange Haare, spricht wie ein Mann, ist optisch irgendwie Mann, hat aber Brüste... Ich ignoriere meine Verwirrung erstmal.
Wir laden mein Fahrrad ab, verstauen es im Fahrradkeller und machen uns dann auf den Weg zu ihrer Wohnung. Welche Etage, frage ich? Ganz oben, 5te. War ja klar. Also alles Gepäck einmal bis ganz hoch schleppen. Sie öffnet die Haustür, ich soll einfach reinkommen. Klingt einfach, ist es aber nicht. Ich schaue kurz auf den Boden und hab keine Ahnung, wo ich meine ersten 3 Schritte hinsetzen soll. Sie erklärt mir, dass sie übermorgen mit dem Rad nach Malmö fährt und gerade am Packen ist. Ah okay.. es sieht eher aus, wie wenn sie ihre Wohnung auseinander nimmt. So viel Werkzeug am Boden kenne ich sonst nur, wenn man renoviert. Ich balanciere mich irgendwie ins Wohnzimmer... Das Chaos setzt sich fort. Stelle deine Sachen irgendwo ab. Äh ja. Wie komme ich am besten zum Balkon ... Ich suche mir einen Weg und räume dort erstmal Rollschuhe, Schützer, Schuhe und anderes undefinierbares Zeug zur Seite , damit ich zumindest meine Sachen alle beieinander habe. Ich verschaffe mir einen Überblick übers Wohnzimmer.. Puh.. Ich rede mir gut zu, eine Nacht schaffst du schon. Eigentlich wollte ich sie/ihn fragen, ob ich den Regentag morgen eventuell noch hier bleiben darf. Aber diese Option hab ich vor 3 Minuten schon verworfen. Ich muss weiter, mögen die Bedingungen sein wie sie wollen.
Ich ziehe mich um, schnappe mir ein paar Sachen und mache mich auf den Weg in die Stadt. Das muss erstmal sacken.
Leider ist Västerås jetzt nicht sonderlich sehenswert. Es gibt eine schöne Straße mit alten Holzhäusern, die ein wenig an die Museumsstadt in Örebro erinnert, aber der Rest ist einfach nur hässlich. Gegen 13:30 setzt nun auch der Regen ein und ich flüchte in ein Einkaufszentrum. Leider gibt es hier keinerlei Sitzgelegenheit. Auch wieder ganz untypisch für Schweden. Aber vielleicht ist hier einfach alles anders, in Västerås. Und so setze ich mich auf den Boden und plane meine Tour für morgen. Kurze Zeit später kommen zwei Polizisten vorbei. Besorgt schauen sie mich an. Ist alles okay bei dir? Etwas verwundert versichere ich ihnen , dass es mir gut geht. Schaue ich wirklich so hilfsbedürftig heute aus? Naja...vielleicht liegts an der Jogginghose 🙈 Optimistisch , wie ich bin, hab ich in Deutschland zwar zwei kurze Hosen eingepackt, aber keine lange. 🤷🏼
Den restlichen Nachmittag verbringe ich mit einem Cappuccino bei Mc Donalds. Mehr würde ich hier allerdings auch nicht bestellen und ich hoffe einfach, dass es in der Küche nicht so schlimm aussieht, wie im restlichen Restaurant.
Auf dem Rückweg werfe ich nochmal einen Blick in Jackies Profil . " I am a swedish Girl." steht als erster Satz in ihrer Beschreibung. Okay, also doch eine Frau. Zurück in ihrer Wohnung zweifle ich an dieser Beschreibung wieder. Sie hat so eine tiefe Stimme. Vielleicht sind da einfach nur Socken im BH.
Sie ist immer noch dabei, zu packen. Immerhin kann man den Flur wieder ohne Hindernisse betreten.
Während sie versucht ihr Chaos zu ordnen, tauschen wir uns ein wenig aus. Ich erfahre, dass sie Informatik studiert und vor einiger Zeit für 6 Monate mit dem Rad von Schweden nach Marokko gefahren ist.
Am Abend bin ich allein und lasse all meine Warmshowers- Begegnungen auf dieser Reise etwas auf mich wirken. Anfangs wusste ich nicht, was mich alles erwarten würde, da es einfach eine komplett neue Erfahrung für mich ist. Mittlerweile mag ich diese Begegnungen mit neuen Menschen, denn man entdeckt einfach so viele neue Dinge an sich selbst. Ein wenig fühlt es sich so an, als ob man in jedem Haus in eine kleine , andere Welt eintaucht. Und wenn man am nächsten Morgen wieder geht, verspürt man das tolle Gefühl, eine neue Verbindung zu dieser kleinen anderen Welt hergestellt zu haben.
Ich glaube, ich habe da einfach in den letzten zwei Wochen etwas in mir abgelegt, was mich vor solche Erfahrungen immer hat zurückschrecken lassen. Diese Erkenntnis stimmt mich taurig. Traurig, weil es so eine lange Zeit gedauert hat, bis ich das erkannt habe und dadurch so viel verpasst und verspielt habe...
Tag 18: Västerås - Marielund
85,1 km
Gesamt: 1612 km
Achtung, Jammertag
Ich wache auf und fühle mich wie gerädert. So schlecht geschlafen habe ich schon lang nicht mehr. Zu viele Gedanken, ich bekomme lang keine Ruhe rein. Dazu Dauerregen in der Nacht und auch am Morgen muss ich bis 8 Uhr warten, bis ich starten kann. Mein Ziel ist heute Mariefred..80 Kilometer sollen es werden. Der Wetterbericht sagt nichts Gutes, ich werde wohl den ganzen Tag Regen haben. Also heißt es komplette Regenmontur an.
Der erste größere Schauer kommt vom Himmel, als ich im Supermarkt sitze und frühstücke. Kurz vor 9 mache ich mich schließlich auf den Weg, ohne Regen. Meine Etappe verläuft heute erst Richtung Osten und ab Hummelsta nach Süden. Der Wind kommt aus Südosten. Jackpot. Er weht zwar nicht so stark wie gestern, aber er bremst dennoch ordentlich aus. Ab Hummelsta lande ich auf einer großen Bundesstraße. Ein LKW nach dem Anderen donnert an mir vorbei. Einige langsam und mit genügend Abstand, andere kommen gefährlich nah an mich ran. Was für ein Nervenkrieg. Dazu die nassen Straßen, die Gischt der vorbeifahren Autos und der Wind von vorn. Hoffentlich ist das bald vorbei. Ich werfe einen Blick in Komoot... Na toll. Das geht die nächsten 20 Kilometer so weiter. Ich merke, wie ich mich innerlich ärgere, obwohl ich weiß, dass es nichts bringt. Es gibt nur diese eine Straße, links und rechts ist Wasser, ich muss es hinter mich bringen, egal wie. Ich versuche mich abzulenken und an was schönes zu denken. Lang funktioniert es nicht. Die Gedanken schweifen immer in dieselbe Richtung. Dann doch lieber schimpfen.
Da der Regen sich bis jetzt zurück gehalten hat, wird es in der Jacke bald zu warm. Ich wage es und ziehe sie aus. 10 Minuten später beginnt es wieder zu regnen. Zum Glück sind es nur feine Tropfen und es dauert auch nicht lang. Bis jetzt bin ich schon länger trocken, als erwartet.
Nach einer gefühlten Ewigkeit kann ich die große Straße endlich verlassen und erreiche Strängnäs. Endlich mal wieder ein schöner Ort, er liegt direkt am Wasser mit einem schönen Hafen. Schade, hier würde es mir schon gefallen. Aber ich habe noch 20 Kilometer vor mir.
Einige Kilometer außerhalb der Stadt dasselbe wieder... Ich muss erneut auf diese Bundesstraße. So gern ich jeden Tag geradelt bin, heute macht es einfach keinen Spaß. Kilometer für Kilometer quäle ich mich weiter. Nach rechts mag ich gar nicht schauen, allerdings lässt es die dunklen Wolken auch nicht verschwinden. Immer wieder kommt man an einem Kiosk vorbei. Es ist kalt, nass, riecht nach Imbiss und dann hat man an so einem Kacktag auch noch Bock auf Bockwurst. Kann es noch schlimmer kommen?
Die Bockwurst vergesse ich zum Glück schnell wieder, in 8 Kilometern hab ich es dann eh geschafft.
Heute Nacht darf ich mich bei Stefan und Johanna einquartieren. Sie wohnen in Marielund, circa 4 Kilometer von Mariefred entfernt. Ich solle schreiben, wenn ich da bin, er holt mich dann ab. Den Ort schickt er mir per Google Maps. Zweimal hab ich gestern nach einer Adresse gefragt. Aber ich bekomme sie nicht, auch keine Telefonnummer. Merkwürdig.
Als ich am vereinbarten Treffpunkt stehe, schreibe ich ihm. Ich solle den kleinen Wanderweg weiterfahren, er kommt mir entgegen. Ist das jetzt der Punkt, an dem ich skeptisch werden sollte? Niemand weiß, wo ich bin, also kann im schlimmsten Fall noch nicht mal jemand nach mir suchen. Ich verwerfe die Gedanken schnell wieder. Du bist in Schweden, hier sind alle friedlich.
Tatsächlich sehe ich nach 200 m jemand auf mich zukommen. Er sieht zum Glück nicht so aus , als hätte er mehrere Leichen im Keller. Nachdem er mich freundlich begrüßt, sind alle Bedenken verschwunden. Gemeinsam gehen wir zu Seinem Haus... was für eine tolle Lage. Direkt am See, kleine Einfamilienhäuser aus Holz.. ein Traum.
Ich lade kurz mein Gepäck ab, ziehe mich um und mache mich auf den Weg nach Mariefred. Stefan hat noch einiges zu erledigen und ich möchte mich noch ein wenig im Ort umsehen.
Bis Mariefred bin ich natürlich wieder nass und so schnell soll es auch nicht aufhören. Da ich keine Regenhose angezogen habe, werde ich es wohl aussitzen müssen. Aber was sind schon 3 Stunden Regen, wenn man trocken in einem Cafe sitzen kann.
In den Regenpause wage ich mich nochmal aus dem Café und schaue mich ein wenig in Mariefred um. Im Hafen hat man einen wunderschönen Blick auf Schloss Gripsholm. Es ist ein kleiner und beschaulicher Ort. Bunte Holzhäuser reihen sich aneinander, dazwischen leider zu viele Touristen. Aber das ist ja immer so, wenn es irgendwie schön ist. Wenn man jedoch seit 2,5 Wochen durch die einsamen Wälder Schwedens fährt, wird einem das schnell zu viel. Allerdings werde ich mich daran gewöhnen müssen. Meine nächsten Ziele liegen zum Teil an der Küste, dort tummeln sich dann sowieso mehr Touristen.
Zurück in Marielund lerne ich Johanna kennen. Sie war am Mittag nicht da und empfängt mich genauso herzlich wie Stefan. Ich bekomme ein eigenes Zimmer und bin baff. Das Bett vorm Fenster, mit einem traumhaften Ausblick über den See. Überhaupt ist das ganze Haus wundervoll eingerichtet.
Den frühen Abend verbringe ich mit den Beiden im Wohnzimmer. Stefan ist ebenfalls Lehrer und es ist interessant , einmal einen Einblick in das schwedische Schulsystem zu bekommen.
Der Tag heute hat mich doch recht viele Kraft gekostet. Vor allem mental. Der ständige Regen, die vielen Kilometer auf der stark befahrenen Straße, die Müdigkeit, ständig ist man am Frieren, die nicht immer abschüttelbaren Gedanken. Aber ich denke, nach 2,5 Wochen darf man auch mal jammern.
Morgen geht's weiter. Mit hoffentlich wieder mehr Hoffnung und neuer Motivation.
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