Nachdem mein Start beim Kullamannen im Jahr 2023 mir die Teilnahme beim OCC in Chamonix ermöglicht hat und dieses Erlebnis das wohl beeindrucktenste und bewegenste meines bisherigen Läuferlebens war, stehe ich nun auch in diesem Jahr in Schweden wieder an der Startlinie um es erneut zu probieren.
Selbstläufer, könnte man meinen.
Strecke, Wetter, Bedingungen sind bekannt. Doch schon Tage vorher zeigt sich, es ist alles andere als ein Selbstläufer.
Aus 57 km werden 104 km, aus nassen und ruhigem Herbstwetter wird ein kühler und vor allem stürmischer Novembertag, aus einem 11 Uhr -Start wird ein 22 Uhr - Start.
Alles anders, alles neu - maximale Verunsicherung.
Auch diesmal war ich wieder knapp eine Woche vor dem Rennen in Schweden. Noch ein paar ruhige Tage, das Meer und die Faszination Schwedens genießen. Wenige Laufkilometer, dafür umso mehr Wanderkilometer standen bis Freitag auf der Uhr.
Sicherlich nicht die optimalste Vorbereitung vor einem ersten 100 Kilometerlauf.
Aber immerhin die Laufschuhe für die Straße wurden durch Trailschuhe ersetzt und sicherheitshalber gleich Zuhause gelassen. Der trockene Skåneleden dieses Jahr hätte einen Start mit meinen erprobten Kullamannen -Brooks allerdings schon zugelassen.
Die letzten zwei Nächte schlafe ich wieder schlecht, aber das kenne ich bereits.
Die Startnummer selbst kann man leider erst am Renntag abholen, so steht mir noch eine Fahrt ins 60 km entfernte Båstad an - gern hätte ich dies schon einen Tag vorher erledigt, da sollte nachgebessert oder zumindest eine Abholung der Unterlagen am Start ermöglicht werden.
Der Wetterbericht verheißt schon Tage vorher nichts Gutes. Das lang anhaltende milde und ruhige Herbstwetter des gesamten Oktobers verabschiedet sich ausgerechnet in der Renn-Woche. Kein einziger Sonnentag, lediglich an einem Abend mal für ein paar Minuten, dafür viel Wind und Anfang der Woche auch immer wieder Regen. Die Wetterwarnung schwächt sich Gott sei Dank zum Freitag hin etwas ab , dennoch sind die angesagten Böen zwischen 55 und 65 kmh für die Nacht nicht unbedingt beruhigend.
Am Freitagmorgen scheint die Witterung dann endgültig festzustehen: trocken, stürmisch bis in die frühen Morgenstunden, danach abflachender Wind aber die Temperaturen fallen auf 2-3 Grad.
Die Verunsicherung weitet sich auf die Klamottenwahl aus. Zu warm am Anfang ,dafür ausreichend für die letzten Stunden? Oder lieber angenehm auf der ersten Hälfte und frösteln zum Schluss?
Ich entscheide mich für Variante 1.
Mit 80 Kilometern in den Beinen kann ich mir ein Frieren nicht erlauben zumal der Körper zu diesem Zeitpunkt eh schon geschwächt sein wird.
Ich Båstad treffe ich schließlich auf Joe, Daniel, Ingo und seine Frau Charlotte. Alle 3 aus der Nähe von München, Joe kommt ebenfalls aus der Oberpfalz. Die Wartezeit verkürzt sich mit netter Gesellschaft deutlich und nachdem wir alle unsere Sachen am Mann haben, verabschieden wir uns erstmal bis zum Abend.
Der Versuch, am Nachmittag noch ein wenig die Augen zu schließen, scheitert.. Was in der Nacht nicht funktioniert, klappt tagsüber noch weniger.
Gegen 20:15 Uhr brechen wir schließlich auf.
Mein erster Weg führt mich in die Kirche von Höganas, die sich direkt neben dem Start befindet.
Heute ist sie für alle Läufer geöffnet, es ist Allerheiligen, für jeden gibt es eine Kerze..
Die Gedanken Aller, die sich gerade hier drin befinden, sind bei ihren wichtigsten Menschen, die nicht mehr bei uns sind...
Auch für mich ein schwerer Gang... Und mich triffts dann auch deutlich härter als erwartet.
Viele Tränen fließen, nicht nur beim Anzünden der Kerze..
Ich versuche mich wieder zu fangen, das Briefing in der Sporthalle wartet nicht.
Ingo und Joe sind schon da, die Halle bereits fast voll. Eine halbe Stunde lümmeln alle noch ein wenig auf dem Boden, hier ist's wenigstens warm.
Das Briefing ist kurz , knapp, aber vor allem sehr deutlich. Pflichtausrüstung oberste Priorität, die Tracking App muss laufen, Handy muss jederzeit empfangsbereit sein und ganz wichtig: man soll die Schafe nicht ärgern.
Hier wird allen bewusst, dass es kein Kindergeburtstag ist.
Als das Grußwort beendet ist, glaubt das auch der Letzte.
Kurz vor 22 Uhr stehen wir zu dritt an der Startlinie. Es ist kalt, stürmisch und dunkel, als der gefürchtete Kullamannen mit Untermalung mystischer Klänge mit seinem Pferd vor der Startlinie seine Kreise zieht.
Wir wünschen uns gegenseitig viel Glück, reden uns gut zu, nehmen uns nochmal alle fest in den Arm.. dann geht's auch schon los.
Der erste Kilometer geht durch die Stadt, jeder viel zu schnell, auch ich mit meinen 4:54 min/km überziehe deutlich, dann folgt auch schon die große Ernüchterung als wir auf den Kattegatleden einbiegen.
Gefühlt läuft man gegen eine Mauer. Das Läuferfeld hier zum Glück noch sehr dicht, so findet man wenigstens Windschatten..Ich suche mir leider die falsche Gruppe, denn auch hier bin ich immernoch viel zu schnell unterwegs.
Auf den ersten 8 Kilometern zieht sich eine einzige Läuferschlange durch die Dünen, an deren vorderster Stelle der Läufer gleich mal den falschen Weg erwischt. Alle anderen 30 natürlich hinterher. Ein Mann von der Orga pfeift uns schließlich zurück.
Bei 104 km ist natürlich jeder Extrameter einer zuviel. Dass uns solche Situationen noch öfter erwarten, wissen wir zu dem Zeitpunkt noch nicht.
12 km bis Mölle.. ein einziger Kampf gegen den Wind. Bereits nach 5 km merke ich, dass sich der Magen nicht so wirklich gut anfühlt.
Sch*** Spätstart.
Ich kenne das bereits von einem missglückten Backyard ein Jahr vorher.
In Nyhamnsläge ist unser Ferienhaus fast in Sichtweise. Von Matthias bekomme ich die Info, dass wohl 6 Frauen vor mir sind.
Weiter geht es nun auf dem Skaneleden weiter bis Lerhamn. Immer wieder muss man die nervigen Weidezäune öffnen.
Ich weiß nicht, was ich dieses Jahr falsch mache, aber an fast jedem brauche ich eine gefühlte Ewigkeit, bis ich den Hebel aufbringe.
Liegt's an der Uhrzeit?
Aber spätestens, wenn einem treudoofe Schafe im Halbschlaf teilnahmslos in die Augen schauen, ist der Ärger wieder verflogen.
Bis Mölle liege ich noch perfekt im Zeitplan, ab jetzt sollte uns der Wind erstmal eine Weile unberührt lassen, da wir die Richtung und die Seite der Landzunge ändern.
Es geht über den ersten Berg, über den wir nach dem Kampf mit dem Wind gefühlt fast schon fliegen.
Die ersten 15 Kilometer vergehen unglaublich schnell. Ich kenne die Gegend, die Wege und die kleine Fischerdörfer die nun kommen.
Leider sind die Pfade an vielen Stellen komplett mit Laub bedeckt , darunter oft Steine und Wurzeln, die man nicht mehr sieht.
Nach 1,5 h beginne ich mit einem Riegel..
Sofort meldet sich der Magen wieder.
Wenn das so weiter geht, verbringe ich mehr Zeit auf der Toilette als mit Laufen.. l
Leider zieht das auch den ersten mentalen Dämpfer mit sich, da die Pausen immer viel zu viel Zeit kosten.
Kurz vor Swanholm ist das Schicksal dieses Laufs dann schließlich viel zu früh besiegelt...
Ich erwische einen vom Laub bedeckten Stein.
Scheiße, was war das jetzt?
Der Fuß schmerzt, die nächsten 10 Meter komme ich nur humpelnd voran, dann wird es wieder besser.
Glück gehabt? Oder sorgt hier das Adrenalin für einen Trugschluss?
Ich laufe weiter..
20 km sind es bis Ängelholm - der nächste VP und dort liegen auch die Dropbags.
An einigen Stellen wissen wir trotz Strecke auf der Uhr nicht, wie wir laufen müssen..2-3 x kehren wir um und suchen den richtigen Weg.
Nervig aber andere trifft es viel schlimmer. Bei mir handelt es sich nur um ein paar hundert Meter, die ich zusätzlich laufe.
Es wechseln sich nun Küstenwege, Wiesenpfade und Weidezäune ab, der Wind ist deutlich spürbar, aber nichts gegen das Teilstück bis Mölle.
Vor Ängelholm geht es nun weiter durch einen Kiefernwald. Die Wege schlängeln sich durch die Bäume, überall Wurzeln, wellig. Immer wieder stürzt vor oder hinter mir jemand.
2 Kilometer vor Ängelholm passiert es dann ein zweites Mal - ich knicke wieder um .
Fuck!!
Ich laufe noch bis zum VP und schaue mir meinen Knöchel erstmal an.
Schmerzen hab ich keine, aber er ist bereits geschwollen.
Cut!!
Das wars.
Weiterlaufen wäre mehr als unvernünftig.
Ich rufe Matthias an, dass er mich abholen soll, dann frage ich nach einem Kühlpack.
" If I help you now, the race is over".
Danke für die Info. Wenn's nicht so schlimm wäre, das ich weiterlaufen kann, würde ich jetzt nicht vor dir stehen.
Auf dem Weg zum Sanihaus kommt gerade Ingo ins Zelt. Ich sage ihm kurz was los ist, kämpfe dabei mit den Tränen.
Genau so sollte es nicht enden.
Auch Joe begegne ich noch. Selbst die fünfte Umarmung tröstet nur wenig..
Mit dem Wunsch, dass zumindest er es ins Ziel bringen soll, schicke ich ihn wieder auf die Strecke.
Wir sehen uns im Ziel...
Danach geht's für mich zum Rennarzt.
Dass ich dort ausgerechnet meiner unmittelbaren Konkurrentin aus Österreich begegne, damit hätte ich nicht gerechnet.
Ein kurzer Blick auf ihr Knie, dann muss ich weg schauen.
Wüsste ich es nicht besser, würde ich behaupten, dass sind noch die Reste von der Halloween Maskierung.
So eine Platzwunde am Knie hab ich noch nie gesehen.
Der Arzt will schließlich wissen, wo es schmerzt, aber das kann ich ihm nicht mal sagen. Dann prüft er die Stabilität vom Fuß, schaut ob ich ihn in alle Richtungen bewegen kann, was zum Glück alles funktioniert.
Ich bekomme ein Tape über den Knöchel, einen Verband zum fixieren und 3 Paracetamol.
Der Sinn des Tape -Streifens erschließt sich mir nicht so ganz.
Erst am nächsten Tag weiß ich, der klebt dort nur, dass ich das Übel darunter nicht sehen muss.
Im benachbarten Zelt warte ich anschließend auf Matthias. Ich lege den Knöchel hoch und dann kommen auch die Schmerzen.
Den Rest realisiere ich noch nicht. Mitten in der Nacht, kurz nach 3, vielleicht auch zu viel verlangt.
Auf der Rückfahrt zum Ferienhaus versuche ich jeden Gedanken an das vorzeitige Ende zu vertreiben,in dem ich über den Live Tracker die anderen beiden verfolge.
Hoffentlich erleben sie wenigstens das geniale Gefühl, nach 100 Kilometer durch den Zielbogen zu laufen.
Kurz vor 4 liege ich im Bett...
Kein Auge bringe ich zu obwohl ich todmüde bin.
Halb 6 gebe ich auf und stehe auf.
Frühstücken und dann zurück nach Båstad.
Joe geht's auf der Strecke noch den Umständen entsprechend gut, aber es wird zäh.
Hat ja auch nie jemand behauptet, dass es Spaß machen wird.
In Båstad ist der Zieleinlauf schon voll im Gange..immer wieder kommen 100 km Läufer ins Ziel, mit denen ich viele Kilometer gemeinsam unterwegs war.
Das ist hart und ich kämpfe immer mehr mit meiner Enttäuschung.
Chamonix wäre hier und heute so nah gewesen. Die Konkurrenz absolut überschaubar.
Aber es hat eben nicht sollen sein.
Gegen 10:30 hat es nun Ingo als erster von den Beiden geschafft und auch wenn es nicht mein Zieleinlauf ist, packt es mich.
45 Minuten später kommt auch Joe im Ziel an..
Riesige Freude und Erleichterung bei beiden. Hut ab vor dieser Leistung !!!
Auch wenn es für mich diesmal alles andere als glücklich zu Ende ging.
Auch wenn ich mein Ziel nicht erreicht hab.
Auch wenn ich mit großer Enttäuschung nach Hause fahre...
So nehme ich doch auch wundervolle Momente, einen unglaublich emotionalen und prägenden Moment in der Kirche und viele tolle Erlebnisse mit nach Hause.
Vor allem aber die Begegnung mit Joe, Ingo, Daniel und Charlotte und das schöne Gefühl, ganz wundervolle Menschen kennengelernt zu haben, wird mir noch lange Zeit erhalten bleiben ...
Und manchmal geht es vielleicht auch nicht ums Finishen oder das Erreichen der gesteckten Ziele, sondern um das Erkennen der anderen Geschenke, die einem das Leben in Momenten bietet, in denen man am wenigstens mit gerechnet hat.
Im Nachhinein hab ich noch erfahren, dass es wohl einen DNF - Teddy gegeben hätte.
Die Enttäuschung darüber, dass ich keinen bekommen habe, währte allerdings nur kurz.
Vermutlich soll er trösten aber wer will schon einen Teddy auf dem Schrank sitzen haben, der einen jeden Tag anschaut und sagt: Ich sitze hier, weil DU aufgeben hast.
Dann lieber nur die zerstörte Startnummer, die jederzeit im Schrank verschwinden.